Samstag, 16. Februar 2013

Der perverse Körper unterbricht Filme



Man drückt einfach auf Pause. DVD, Youtube, VLC, Quicktime…überall. Einmal holt man sich etwas zu Trinken, dann schläft man eine Runde bevor es weitergeht. Man kocht, telefoniert und starrt aus dem Fenster. Man fühlt eine Macht über den Film. Ist das immer schlecht? Roland Barthes hat von zwei Körpern gesprochen, die sich im Kino befinden. Dem narzisstischen Körper und dem perversen Körper. 

Roland Barthes

Ersterem ist es möglich sich völlig mit dem Geschehen auf der Leinwand zu identifizieren, sich mehr oder weniger zu verlassen. Vor kurzem Lindsay Andersons „This Sporting Life“ im Filmmuseum Österreich gesehen und mich völlig verloren. Im Kino gewesen. Geweint. Die Gesichtsregungen von Richard Harris, die eigenwillige Bildsprache, die Körperlichkeit und Poesie, die Musik. All das hat dazu beigetragen, dass ich mich vergessen habe. Aber natürlich auch die Dunkelheit des Saals, die schiere Präsenz der Bilder, die im Filmmuseum besonders wertgeschätzt wird (die Ansage vor jeder Vorstellung:„Ich bitte sie Ihre Mobiltelefone ganz auszuschalten. Nicht nur lautlos, sondern ganz ausschalten. Das leuchtende Display kann auch stören.“) Filme schauen der Filme wegen.
 
Dagegen ist sich der perverse Körper immer seiner Anwesenheit im Kino, seiner eigenen Körperlichkeit bewusst. Das muss nicht schlecht sein. Brecht oder Kluge fördern dieses Bewusstsein sogar. Gesetzte Langeweile, um den Zuschauer zu aktivieren. Das Gegenteil des Identifikationskinos Hollywoods, ein Überwältigungskino, dass es einem ermöglicht zu verschwinden. Doch der perverse Körper existiert immer. Deswegen wird es auch als so hohes Gut gesehen, wenn man nach dem Film feststellt: „Die Zeit verging wie im Flug.“; es ist eher die Ausnahme denn die Regel, dass ein Film das mit uns machen kann. Es scheint eine gewisse Länge zu geben für die unser Körper sich verlieren kann. Dann spüren wir ihn. Spüren Hunger, spüren Müdigkeit. Trotzdem gibt es Epen wie Peter Jacksons „Lord of the Rings“, bei denen viele Menschen keine Langweile verspüren. Aber ist es schlimm Langweile zu verspüren und den Film zu unterbrechen?

This Sporting Life

Heutzutage ist das Kino für viele Filmfreunde eher die Ausnahme denn die Regel. Zu viel Geld spart man sich von zuhause aus, so viel größer erscheint die Auswahl. Die Bildqualität nähert sich immer mehr dem Kinovergnügen; natürlich geht dabei viel an-wenn ich das so nennen darf-„künstlerischem Wert“ verloren: Der Kinogang hat etwas mit einem Ritual zu tun, die Aufmerksamkeit wird durch Architektur, das bewusste „Zeit-Nehmen“, die Planbarkeit und gewissermaßen den Zwang des Schauens gefördert. Das Kino atmet die Filme und wird von ihnen belebt. Jeder hat das schon gespürt, wenn sie/er das Kino verlassen hat und sich plötzlich völlig irreal gefühlt hat; alles war hell und surreal. Aber es gibt nicht nur Nachteile. Der perverse Körper existiert nämlich auch im Kino, ein Körper, der sich unwohl fühlt, weil der Zuschauer neben einem schlecht riecht, ein Körper, der müde ist, dessen Füße einschlafen, der Hunger bekommt: Und nichts dagegen tun kann. Statt kurz auf Pause zu drücken, muss man den Film durchsitzen. Was folgt ist bei manchen ein Gähnen oder ein Blick auf die Uhr: Beleidigung des Regisseurs!

Überwältigungskino
 
Zuhause drückt man auf den Pausenknopf. Man rennt durch den Raum, um seine Füße zu erwecken, man kocht sich schnell etwas. Und weiter geht es. Man folgt der Dauer des Films vielleicht sogar effektiv mit mehr Aufmerksamkeit? Es ist jedenfalls eine distanzierte Aufmerksamkeit, eine Konzentration, die nie völlig aufzugehen scheint, weil sie ständig die Tür offenlässt zu gehen. Nur durch diese Distanz ermöglicht sie uns auch die Filme nüchterner zu betrachten, kritischer damit umzugehen. Die Tricks der Filmemacher offenbaren sich im digitalen Zeitalter einfacher, die Werte haben sich auch dementsprechend verschoben: War das Blockbusterkino der 90er Jahre „Terminator 2“, „Batman Forever“ oder „Jurassic Park“ noch pures Entertainment, so spielen heute immer auch kritische Töne in die Blockbuster mit rein, von Öko-Thrillern ist dann die Rede oder politischen Allegorien. Filme, die auch auf dem Laptop funktionieren. Einzig technische Spielereien, scheint es, erlauben noch jene Überwältigungsstrategien von James Camerons „Avatar“ (oder ist das auch eine Öko-SciFi-Pocahontas-Remake?) zu stupiden Michael Bay Explosionsorgien (oder sind das fortschrittskritische Sozialstudien?). Dafür muss man dann ins Kino?

Avatar

Was geht verloren, wenn man Filme auf dem Laptop sieht? Der Reichtum der Bilder, ihre Tiefe und Schönheit, ihr Potenzial sich darin zu verlieren; das Kino als Maschine, das die alle Sinne einzufangen mag. Doch gewonnen wird sicherlich eine einfachere Möglichkeit zur kritischen Reflektion, die den Film womöglich aus seiner Kohärenz reißt, aber welche Kritik, welche Theorie, ja welche Praxis macht das nicht. Es ist nicht das Ideal sich Filme im eigenen Bett mit einem Laptop auf dem Schoß anzuschauen, aber es ist auch kein Verbrechen. Und manchmal ist sogar ein ähnlich hoher Identifikationsgrad wie im Kino möglich, denn gewissermaßen löst das Heimkino, egal wie klein es ist das Versprechen ein, das Filme von je her zu geben scheinen: Man ist alleine mit den Charakteren, sie gehören einem ganz alleine. Ähnlich wie in einem Videospiel beginnt man sie zu kontrollieren, man wird nicht lachen nur weil der ganze Saal lacht; die Protagonisten scheinen mit einem zu reden.

Nur zwei Verbrechen gibt es in diesem Zusammenhang und damit möchte ich auch schließen: Vor einiger Zeit war ich im Zug auf einer längeren Strecke unterwegs. Ein junger Mann saß in meinem Abteil und sah sich auf seinem Laptop einen Film an. Es war Ridley Scotts „Robin Hood“. Er begann den Film zu sehen und nach einiger Zeit bemerkte ich, dass er ungefähr alle 10 Minuten etwas auf seinen Tasten herumdrückte. Es waren gleich zwei Verbrechen, die der junge Mann am Film beging:
    
      1.      Surfte er während der Film lief im Internet. Verstoß gegen Regel Nr.1: Wenn ein Film am Laptop angeschaut wird, ist jedes andere Programm zu schließen.


      2.      Übersprang er „langweilige“ Stellen im Film. Verstoß gegen Regel Nr.2: Der Film bleibt als Ganzes zu betrachten, selbst wenn er unterbrochen werden kann.

Robin Hood
 



„Verbrechen“ sei hier definiert als etwas, was gegen das ursprüngliche Wesen des Films arbeitet. Ein Wesen, das schon immer zugleich unseren perversen wie unseren narzisstischen Körper angesprochen hat.
Am Laptop gewesen. Geweint.

1 Kommentar:

  1. Das Laptop-Beispiel erinnert mich ein wenig an die Bedenken vor gut 10 Jahren, ein Musikalbum werde nicht mehr wertgeschätzt und auseinandergerupt, weil einzelne Songs aus dem Internet heruntergeladen werden. Gefühlt gibt es von aktuellen Majoralben aber wieder mehr Vinylausgaben als damals. Der Musikkultur wird also andererseits höher Rechnung getragen.
    Das Ritual als solches kann wohl nicht pervertiert werden. Die Veränderung gibt den Menschen eher die Möglichkeit, sich in die Untergruppen zu teilen, deren feine Unterscheidung vorher nicht möglich gewesen wäre.

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