Montag, 8. April 2013

Vom Sehen der eigenen Heimat auf der Leinwand



Momentan ist Jonas Mekas im Filmmuseum Wien zu Gast; vergangenes Wochenende zeigte er seinen Film „Reminiscences of a Journey to Lithuania“. Im Endeffekt ein Reisevideo, dass durch die eigenwillige Bildauswahl zu einer 16 Millimeter-Bolex-Kamera-Poesie wird, spätestens, wenn Mekas mit seiner eindringlichen Stimme immer wieder das Wort „home“ betont und melancholische Musik unter die Eindrücke legt. Es ist ein Einfangen von Heimat, das für das Wiener Publikum auf eine gewisse Art exotisch wirkt. Die Bilder aus Litauen wirken fremd, fast wie aus einer Parallelwelt. Das liegt nicht nur an der Tatsache, dass das verwendete Format heutzutage einen gewissen Verfremdungseffekt mit sich bringt oder daran, dass der Film die Vergangenheit zeigt, sondern einfach nur daran, dass die Umgebung Litauens, gerade in ihrer Privatheit, so fremd wirkt. Der Film beginnt in New York und man kann dort weit besser den Emotionen von Mekas folgen, man kennt diese Welt, diese Gesichter, diese Straßen und Orte, wogegen Litauen wie ein fremder Planet erscheint, auf den wir und Mekas selbst fast von oben herab blicken. Das melancholische Gefühl von einer Rückkehr in die Heimat verliert sich zunehmend in sich selbst, und wird von einer Reflektion der eigenen Erinnerung auf ein filmisches Zeitdokument reduziert;
 
"Reminiscences of a Journey to Lithuania"


Bei Mekas stellt sich die Frage nach der Relevanz des Gezeigten nicht. Er zeigt, was man sehen kann. Man sieht, was man fühlen kann. Aber so richtig erstaunt, so richtig auf die Ebene von Mekas gelangt das Publikum im Kino erst, als der Film Bilder aus Wien zeigt. Kremsmünster und der brennende Naschmarkt. Und plötzlich steigt der Film wieder auf von diesen schlicht auf Zelluloid gebannten Bildern einer Zeit zu einer Erinnerung. Konnte man bei den ländlichen Szenen in Litauen noch eine Distanz wahren, verliert man sie nun. Plötzlich werden die Bilder auf der Leinwand einverleibt. Warum wird man direkt angesprochen von den Bildern aus der eigenen Umgebung?  „Home“ ist ein wichtiges Gefühl im Kino in jeder Hinsicht.

"Reminiscences of a Journey to Lithuania"

Dies kann natürlich nur eine Annäherung sein, da der Begriff Heimat ja per se schon nicht wirklich definierbar ist. Aber es stellt sich doch die Frage, inwiefern das Kino ein Heimatgefühl jenseits von „Wir sind Oscar!“ oder „Wir haben die Goldene Palme gewonnen!“ erzeugen kann. Inwiefern wird Kino selbst zur Heimat?

Vor kurzem habe ich ein schlechtes Video aus meiner Heimatstadt gesehen. Ein albernes Musikvideo ohne jegliche Qualität, sodass ich es an dieser Stelle auch nicht nennen oder verlinken möchte. Aber als ich die Bilder aus Augsburg sah, den Rathausplatz, die Fußgängerzone oder das Einkaufszentrum entwickelte ich ein Gefühl, das sich wohl am ehesten mit Heimweh verknüpfen lässt. Ich hatte ein melancholisches Gefühl, als ich sah, was ich kenne, obwohl ich mich an einem ganz anderen Ort befinde. Wie muss es New Yorkern gehen? Bei Mekas Film kamen wohl vielen Wienern, die in der Zeit schon lebten, ähnliche Gedanken in den Sinn. Der Effekt hat sicher noch etwas stärkeres, wenn Bilder aus der Vergangenheit zu sehen sind. Wir alle kennen die langsamen Zooms auf Bilder aus der Vergangenheit in fiktionalen Filmen von Polanski bis Ceylan. Viele besitzen Videoaufnahmen von ihrer Hochzeit, Taufe oder Urlauben. Man liebt es Momente zu entdecken und je länger man die Filme betrachtet, desto mehr verschwimmen Film und Erinnerung, bis man irgendwann glaubt, dass man sich an den Film erinnern kann beziehungsweise die Erinnerung gefilmt hat. 

Uzak von Nuri Bilge Ceylan
 
Wie in der Frühzeit des Kinos scheint es immer noch attraktiv zu sein sich selbst oder seine Orte auf der Leinwand zu sehen. Und das obwohl man sich doch sowieso jederzeit selbst filmen kann und das online stellen kann. Kann man das Internet auch filmen und sich so daran erinnern? 


Freunde, die Neuseeland bereisten, berichteten mir von den Drehorten von „The Lord of the Rings“. Hier ist etwas ganz anderes passiert. Der Landschaft wurde der Film einverleibt. Orte, die sicher nichts mit Mittelerde zu tun haben, werden nun als Orte in Mittelerde wahrgenommen. Das Kino kann auf Orten schreiben. Als ich auf den Gaudi-Dächern in Barcelona war, dachte ich auch an „Professione:reporter“ und sucht verzweifelt Maria Schneider zwischen den gigantischen Wasserspeichern oder hoffte Vicky oder Cristina zu sehen. Besonders attraktiv scheinen Filme wie Iñarritus „Biutiful“, die statt konkreter Orte ein Gefühl einfangen für den Ort. Ähnlich also wie Mekas, der „Glimpses“ festhält und uns so Teil seines persönlichen Heimatgefühls werden lässt. Denn wenn in „The International“ der Berliner Hauptbahnhof bespielt wird, dann wird er tatsächlich nur bespielt und nicht durchdrungen. Es entsteht nur das kurze: „Schau mal, der Berliner Hauptbahnhof“ Gefühl statt der Identifizierung mit der Lokalität, zu der das Kino in der Lage ist. Das Fernsehen scheint zumindest in Deutschland die Aufgabe dieser eingefangenen Heimat übernommen zu haben. Der „Tatort“ oder andere Serien definieren sich sehr stark über ihr Lokalkolorit. Doch sie betten oft die Örtlichkeiten in ihr Genre ein, statt ihr Genre in ihre Örtlichkeiten einzubauen. Es gibt natürlich Ausnahmen. In seinem TV-Krimi von 2003 „Der Mörder ist unter uns“ hat es Regisseur Markus Imboden beispielsweise geschafft den Ort der Ermittlungen durch den Kriminalfall durchblicken zu lassen. Eine normal amerikanische Spezialität, die sich in zahlreichen Thrillern findet. „Fargo“, „Seven“ oder „25th Hour“ wären ohne ihre Umgebung nicht denkbar. Es liegt auch an der Körperlichkeit, der amerikanischen Schauspieler, die sich die Orte mehr oder weniger antrainieren und so ein Gefühl von Heimat erzeugen, dass über das bloße Aussagen von Dialekt hinausgeht. Man muss eine Heimat leben, um sie zu vermitteln. 
 
"25th Hour" von Spike Lee

"Der Mörder ist unter uns" von Markus Imboden

Deshalb funktioniert Mekas so gut, weil es tatsächlich seine Heimat ist. Erstaunlich, dass dies gerade „displaced persons“ wie Mekas oder auch Roman Polanski so gut gelingt. Dagegen hat Ingmar Bergman immer betont nur Filme in seiner Heimat machen zu wollen, da er sich total mit Schweden identifizierte. Schließlich kann Film noch eine ganz andere Heimat sein. Kino kann überall gleich sein, die Filme können überall gleich sein. Zwar ist jedes Erlebnis mit einem Film ein neues, aber sieht man an einem weitentfernten Ort von seiner Heimat einen Film, kann er das gleiche in einem auslösen, wie sonst irgendwo auf der Welt. Kino hebt die Grenzen auf und dann gehen die Lichter aus und man verliert sich in einer anderen Welt und plötzlich wird diese andere Welt zur Heimat. Die Musik von Georges Delerue erweckt dann Paris am Nordpol zum Leben, die Stimme von Elio Germano erweckt ein italienisches Lebensgefühl in  einem Kanadier und man bekommt Lust auf asiatisches Essen, wenn man „Eat Drink man Woman“ von Ang Lee ansieht.
 
Professione:reporter" von Michelangelo Antonioni

Dabei sind es immer nur „Glimpses“ und trotzdem hat man das Gefühl dort zu sein. Im Kino, alleine, unter vielen, daheim.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen