Freitag, 9. August 2013

D.W.Griffith und die Poesie



In „Enoch Arden“ entfesselt D.W. Griffith vielleicht zum ersten Mal in seinem Schaffen so etwas wie filmische Poesie, interessanterweise basierend auf einem Stück narrativer Poesie von Alfred Lord Tennyson. Es ist natürlich unheimlich schwer hier in gewohnter Weise über einen Film aus dem Jahr 1911 zu sprechen, zu sehr drückt das Verlangen nach Erklärungen, Einordnung und dem ganzen Repertoire einer Filmgeschichtsschreibung. Dennoch scheint mir der Wert des zweiteiligen Films (jeder Teil umfasst circa 17 Minuten, man findet eine Version in sämtlichen frei zugänglichen Online-Videotheken, unten ein Youtube-Link) nicht aus diesen ganzen Entdeckungen und Entwicklungen im Kino des D.W.Griffith zu bestehen, sondern schlicht in der Art und Weise wie er ein zusätzliches Bewusstsein zwischen zwei Schnitten schafft. 


Im Film und im Gedicht geht es um eine Annie Lee, die zwischen zwei Männern steht. Sie entscheidet sich für den einen Mann, der auf den Namen Enoch Arden hört. Als dieser notgedrungen (das Geld) auf eine Seereise muss, gerät er in einen Sturm und strandet auf einer einsamen Insel. Zunächst wartet Annie noch hoffnungsvoll. Der Nebenbuhler Philip beginnt sich um die zwei Kinder zu kümmern und ist für Annie da. Schließlich gibt diese die Hoffnung auf und erklärt ihren Mann für tot.  Sie lässt sich auf eine Beziehung mit Philip ein und beginnt ein einigermaßen glückliches Leben mit ihm. Doch Enoch wird nach langer Zeit auf der Insel gefunden. Mit wildem Bart und sichtlich geschwächt kehrt er nach Hause zurück und sieht am Fenster, dass seine Frau inzwischen ein anderes Leben mit Philip führt. Statt sie anzusprechen oder wissen zu lassen, dass er wieder da ist, entscheidet er sich dafür sie nicht aus ihrem neugefundenen Glück zu reißen. Er stirbt. Neben Parallelen zu Filmen wie „Cast away“ von Robert Zemeckis oder „Brødre“ von Susanne Bier fällt einem sofort auf wie sehr ein solcher Film nach einer Parallelmontage schreit. Die beiden moderneren Varianten desselben Themas machen schließlich 90 Jahre nach Griffith auch davon gebraucht, wenn auch weniger auffällig und im Fall von Zemeckis nur sehr gering und nur zur Verstärkung diverser dramatischer Momente. Bei Griffith dagegen liegt fast die ganze Erzählung im Schnitt. Man könnte fast von einem Eisentsein-Film sprechen, wenn die Synthese nicht ein Melodram wäre. Es ist nämlich nicht nur so, dass Griffith Spannung und Erzählung in seinen Schnitten aufbaut, sondern eben auch einen gewissen Überrest lässt und einer ungeheuren Rhythmik zu gehorchen scheint, die einen manchmal tatsächlich trifft wie ein Schuss. Außerdem gibt es da noch ein wenig mehr als nur die Montage.


Eigentlich beginnen die poetischen Bilder erst gegen Ende des ersten Teils, als Enoch sich auf das Schiff begibt. Annie steht mit ihren Kindern und einem wehenden Kleid am linken Bildrand und blickt mit einem Fernrohr aufs Meer. Die Wellen schlagen gegen Felsen und die Kinder klammern sich an ihre Mutter. Sie lässt das Fernrohr enttäuscht sinken. Griffith lässt das Bild eine längere Zeit stehen, es spricht auch für sich, ganz ohne Montage. Interessant scheint, dass es Griffith hier nur um das Gefühl zu gehen scheint, denn schließlich weiß der Zuseher noch gar nicht, dass etwas passiert sein könnte. Ihr Blick in die Ferne ist ein Schrei nach seiner nicht möglichen Rückkehr. Ähnlich der Visionen, die Anthony Minghella in „Cold Mountain“ aufbaut, von einem zurückkehrenden Inman, verbinden sich hier die zwei Welten schnell durch die Gischt der Wellen. Es beginnt ein Dialog durch Raum und Zeit.


Im Wasser kämpfende Männer, die ihre Arme nach oben recken und SCHNITT: Annie steht am Strand und wendet sich vom Meer ab. Sie lässt sich niedergeschlagen auf einen Felsen sinken und blickt auf das Wasser SCHNITT: Ein im Wasser treibender Mann. SCHNITT: Annie jetzt von schräg vorne, in sich gekehrt, traurig. Plötzlich schreit sie auf. Reißt ihre Hände in die Höhe und schreit hinaus aufs Meer. Sie ist am linken Bildrand, ihr Blick geht ins Off. Sie ist verzweifelt, aber aus jenem Off kommen ihre Kinder gerannt, die sie in die Arme nimmt. Sie blickt zum Himmel. SCHNITT: Männer werden an einen Strand gespült. Sie sind völlig erschöpft und bewegen sich auf die Kamera zu. Immer wieder fallen sie. Enoch kommt am Strand an. Zwei weitere Männer sind bei ihm. Sein Blick geht zum Himmel. Auch er schaut in Richtung des linken Bildrands. Verzweifelt geht er zu Boden. SCHNITT: seine Frau sitzt am Felsen mit den zwei Kindern. SCHWARZBLENDE.
Zu sehen ist eben ein Dialog zwischen den Bildern und auch ein formelles Interesse von Griffith Parallelen zu erschaffen in der Mise-en-scène. Hier geht es nicht nur darum, dass der Schnitt Spannung und Erzählung aufbaut, sondern es geht darum, dass sich in ihm und in der Ähnlichkeit der Bilder und Ereignisse so etwas wie Gefühle zwischen zwei räumlich getrennten Menschen erzählt. Natürlich sind diese Schnitte bei Griffith in einen narrativen Kontext gebunden. Aber dieser ist zum Teil tatsächlich eher lyrisch als prosaisch, wenn man einen solchen vergleich wagen soll. So lehnt Annie Philips ersten Versuch ab, als Enoch in der Parallelmontage einen seiner Begleiter betrauern muss. Ein Verlustgefühl wird verstärkt. Der anschließende Sprung ins Alter ist nicht gerade elegant, aber was für eine Leistung ist es, dass er absolut nachvollziehbar ist.  Auf den ersten Bildern einer neuen Familie sitzt Annie noch immer am linken Bildrand und blickt sehnsüchtig aus dem Bild. SCHNITT: Enoch sitzt alleine am Strand. Er blickt aus dem rechten Bildrand. Er wendet sich enttäuscht ab, sieht seine Kette von Annie an. Der Wind am Strand ist bemerkenswert. Als würde er helfen die Bilder zu verbinden. Enoch sinkt in sich zusammen. SCHNITT: Annie macht einen Spaziergang mit Philip.SCHNITT: Enoch sitzt wieder am Strand und blickt aus dem rechten Bildrand. Dann sieht er etwas am Horizont…

Wenn man sagt, dass das Kino mit Griffith begonnen hat zu sprechen, dann kann man auch sagen, dass es mit ihm begonnen hat zu fühlen. Einer Logik muss in diesem Kino kaum etwas gehorchen, weil es um das Gefühl geht. Und dieses Gefühl ist es auch, dass den Zuseher und Enoch selbst am Ende überwältig, ganz im Stile der großen Melodramen, die folgen sollten.Denn ein gutes Melodram sollte sich doch nicht, wie häufig in wissenschaftlichen Texten definiert, durch einen besonderen Konflikt des Individuums mit der Gesellschaft und den Hindernissen, die der Liebe im Weg stehen, beschäftigen, sondern mit dem Versuch Gefühle zu vermitteln, die größer sind als diese Gesellschaft und eben auch größer als der Bildkader das ermöglicht.. Erschreckenderweise erzählen Melodramen heute aber häufiger durch entleerte Dialoge als durch Bilder. Eine Verwandtschaft mit Griffith kann man im "Kino der Schnitte, um zu schneiden" nicht mehr erkennen. Es sei denn Carlos Reygadas entfacht ein „Stellet Licht“, eine filmische Poesie unseres Jahrtausends.


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