Montag, 30. September 2013

Jeune & jolie von François Ozon



François Ozon gehört zu jenen Filmemachern, auf die ich hier immer wieder zurückkomme. Das liegt zum einen einfach daran, dass seine Filme mich in irgendeiner Art ansprechen und mir viel an ihnen liegt, zum anderen aber auch daran, dass bei ihm Filmemachen so gut zu analysieren ist und er fast ähnlich einem Ingmar Bergman das Wort Autorenfilmer, mit immer wiederkehrenden, ihn persönlich treffenden Themen definiert. Die Inszenierung liegt bei Ozon meist sehr offen und so kann man unheimlich viel von ihm lernen, während man sich seine Filme ansieht. Aus dem wilden Queer-Trash Filmer wurde ein Autorenfilmer, der seine Wurzeln nie vergessen hat. Im Gegensatz zu Almodóvar verliert er vielleicht etwas an Rotzigkeit, gewinnt aber dafür an Tiefe, Rhythmus und Geschmack. „Jeune & jolie“, den ich in Cannes noch verpasst hatte, aber nun in Hamburg nachholen konnte, reiht sich ganz wunderbar in das Schaffen von Ozon ein. Es ist ein interessanter Blick auf eine junge Frau, der man ganz tief in die Augen blicken kann, die man berühren kann, mit der man schlafen kann ohne sie jemals wirklich kennenzulernen; „Where do you go to my lovely when you’re alone in your bed?“, würde Peter Sarstedt an dieser Stelle singen und man mag sich fragen, ob dieser Film eine kranke Männerfantasie ist oder das verletzliche Portrait einer modernen Teenagerin. Ozon ist zu intelligent, um in einer der beiden Fallen zu tappen, er installiert den jungen Bruder der Protagonistin Isabelle als Voyeur, als unschuldigen Beobachter, der genauso gefangen wird von seiner Schwester, wie die vielen Männer im Film. Schon in der ersten Einstellung ist es der Bruder, der Isabelle durch ein Fernglas am Strand beobachtet. Als ihm die junge Frau später unangenehme Fragen stellt, weicht er dagegen zurück. So wie Ozon selbst, der endlich seine Überpsychologisierung loswird, die „Swimming Pool“ in der zweiten Hälfte zu einem übertriebenen Melodram verkommen ließen und in seinem Oeuvre etwas redundant auf ödipale Komplexe hinauslaufen, entzieht sich also auch der kleine, beobachtende Bruder der Selbstanalyse. Ozon setzt sich fast gleich mit einem neugierigen Kind und hat die üblichen Szenen, in denen der Junge durch den Türspalt schaut und seine Schwester beobachtet. Er deutet zwar auch in „Jeune & jolie“ einen fehlenden Vater als mögliches Problem an, aber eben gleichermaßen das Internet, Geldprobleme, Geheimnisse in der Familie und eine fehgeleitete Sexualität. (Der Junge im Körper eines Mädchens ) Mal macht Ozon das mehr und mal weniger subtil, aber er lässt dieser Frau etwas unnachvollziehbares, die sie zu mehr machen als einem früher oder später durchschaubaren Objekt.

JEUNE


Erstaunlich mit welcher Finesse Ozon das Thema des Alters angeht. Wenn gegen Ende Charlotte Rampling gegenüber von Hauptdarstellerin Marine Vacth sitzt, dann ist es fast wie in „Opening Night“ von John Cassavetes eine Begegnung des eigenen Spiegelbilds. Natürlich nicht ohne, die ozonesque Arroganz der Gegenüberstellung seiner alten Muse und seiner neuen Muse. Dieser Spiegel verzerrt jedoch das Bild, weil Moralvorstellungen in diesem Film offen angegriffen werden. Die schwierigen Momente bricht der Film mit Humor oder Überzeichnung auf, etwa wenn ein Kunde stirbt oder wenn der Vater nackt durchs Haus geht, als seine Tochter nach Hause kommt. In der verzweifelten Mutter liegt eine weitere  oder eigentlich die am meisten psychologisierte Rolle des Films, in die Ozon mindestens genau so viel Liebe steckt, wie in seine mysteriöse Hauptfigur. Dem Stiefvater kommt Ozon keineswegs nahe, er scheint nur zu existieren, um für den einen oder anderen Lacher zu sorgen, von denen sich Ozon leider wieder nicht ganz befreien kann. Durch die ambivalente Mutterfigur jedoch entsteht ein Generationenkonflikt, der in Unverständnis mündet. Der Konflikt, so wird später Im Hotelzimmer mit Rampling klar, liegt jedoch nicht im Altersunterschied. Rein filmtechnisch wirkt es manchmal einfallslos, es ist Kino aus der Konserve bis auf jene Momente, in denen Gegenwart und Vergangenheit aufeinanderprallen in der Inszenierung, manche mögen es Nostalgie nennen. So fahren französische Chansons auf und das Geschehen verlangsamt sich in einer Discothek; in dieser Bruchstelle liegt die apathische Isabelle, die man als Gesellschaftssyndrom verstehen könnte. Man spürt nichts mehr, also will man in die Extreme. Sex als Kick. Die existentielle Nüchternheit von „Sleeping Beauty“ von Julia Leigh ist es nämlich nur auf den ersten Blick, den dafür ist Isabelle zu fragil, zu emotional. Ihr aufkeimender Genuss erinnert an die junge Catherine Deneuve in „Belle de jour“ von Luis Buñuel . Es ist ein Drang zum Spielen, der sich schon in einer frühen Szene am Strand etabliert, als sie ihre Sonnenbrille aufzieht kurz bevor ihr Freund ankommt.  Um was es ihr geht scheint dabei genauso klar, wie unklar zu sein. Eines ist jedoch sicher, dass Ozon wieder mal-und deshalb kann man ständig einzelne Szenen auf das große Ganze beziehen-ein sehr durchdachtes Drehbuch geschrieben hat.

JOLIE


Ozon macht schönes Kino. In seinen Filmen tummeln sich schöne Menschen, in schönen Kleidern, an schönen Orten. Dabei ist sein Geschmack himmelweit vom Mainstream entfernt und dennoch sofort greifbar. Ein wichtiger Faktor, der in „Jeune & jolie“ wieder stärker zu tragen kommt, als in „Dans la maison“ ist Melancholie. Einmal sagt ein Kunde zu Isabelle, dass sie schöne Augen hat, weil sie melancholisch sind. In den oft strahlenden Augen der älteren Männer, die wie verführende Lüste aus den bärtigen Gesichtern hervorragen, und den letzten Funken Vitalität versprühen, der noch in diesen Männern ist, liegt die gleiche Melancholie, die den ganzen Film in einen Dunst hüllt, der die elegischen, nicht jedem entsprechenden Stimmungen des Kinos von Ozon so sehr prägt. Seine Stilsicherheit mit vielen Parallelfahrten, Halbtotalen und ganz sanften Bewegungen, dem unsichtbaren Schnitten sowie dem klassischen Score trägt ihr übriges zur Atmosphäre bei. An „Belle de jour“ erinnert nicht nur der Wandel von Apathie zu Freude, sondern auch die Spannungen zwischen Perversion und Schönheit während des Verkehrs selbst. Der eine Kunde ist liebevoll, der nächste ist offensiv, ein anderer ist brutal. Ozon erzählt etwas über Sexualität in diesen Sequenzen, aber er schafft es nicht-wie sonst schon oft-seinen Charakteren wirklich etwas zu entlocken, während sie miteinander schlafen. Nur in der Entjungferungsszene, in der sich Isabelle selbst enttäuscht betrachtet, öffnet sich ein zusätzlicher Raum hinter dem bloßen Zeigen von Sex. Schönheit selbst wird thematisiert in der Frage, wo Prostitution eigentlich beginnt. Angefangen beim Schönmachen vor dem Weggehen, das Ozon in unterschiedlichsten Facetten zeigt, bis hin zum ähnlichen Ablauf einer Psychologen-Sitzung und einer Bezahlung der Prostituierten spart Ozon nichts aus, um moralische Werte zu hinterfragen. Ins Zentrum seiner Bilder stellt er dann die Schönheit seiner Hauptdarstellerin, die darin liegt, dass sie nicht vom eigentlich körperlichen Kino von Ozon berührt werden kann. Man würde Marine Vacth gerne bei Claire Denis oder Bruno Dumont sehen, um durch ihr Eis brechen zu können. E bleibt das Bild der jungen Männer, die Isabelle grundlos verlässt. Es ist ein trauriges und flüchtiges Bild von jugendlicher Schönheit.



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