Sonntag, 17. November 2013

Was er nicht zeigt



Ein Regisseur hat gemeinhin zwei Möglichkeiten dem Zuseher Dinge in einem Film nicht zu zeigen. Einmal räumlich, durch seine Mise-en-scène, indem er durch seine Kadrierung einen Off-Screen etabliert und so Informationen bewusst vorenthält und zweitens auf der zeitlichen Ebene, durch die Montage, indem er Momente und Szenen auf der Zeitebene auslässt. Auffällig ist dabei, dass es im klassischen Mainstreamkino immer darum geht in der Mise-en-scène nichts zu verpassen und auf der zeitlichen Ebene nur das zu sehen, was für eine narrative Entwicklung relevant ist. Die Kraft der Ellipse, die gleichzeitig ein poetisches, ja traumartiges Element verkörpert, geht damit leider völlig verloren. Im künstlerisch orientierten Kino ist dieses Stilmittel jedoch Teil einer gemeinsamen Sprache. In einem Interview mit Corneliu Porumboiu, das ich vor kurzem führen durfte, betonte der rumänische  Filmemacher, was man anhand seiner Filme längst wusste: „Dinge, die am Rand oder außerhalb des Bildes stattfinden, sind für mich interessanter als das, was im Bildzentrum geschieht.“ Es ist eine Antwort auf das Mainstreamkino, aber auch auf den durch die Gesellschaft gezogenen Drang immer mehr und am liebsten alles zu sehen. Im Kino hat man die Möglichkeit nicht zu sehen. Kino muss heute-mehr als je zuvor-bedeuten anders zu sehen. Wir leben in einer Welt, in der wir ständig in einer Art Kino sind. Visuelle Eindrücke regnen auf uns nieder zu einem Grad, der das Bild weit über das Wort, den Gedanken oder das Gefühl zu heben scheint. Die Lust am Voyeurismus ist schon lange keine Versuchung mehr, sondern eine Sucht. Damit geht die Schönheit und Unschuld des Sehens verloren und darüber hinaus vergessen wir, was ein Off-Screen eigentlich bedeuten kann, wir vergessen, dass es eine Welt links, rechts, hinter, vor, über und unter dem Bild gibt. 



Nur das Kino selbst, jener eigentlich auf das Bild zentrierte Ort eröffnet diese Räume neu. Indem er sie bewusst auslässt, mit unseren Erwartungen des Off-Screens spielt und im Ton eine größere Welt erschafft. Paolo Sorrentino, ein Mann der großen Bilder, der mächtigen Bilder unglaublicher Schönheit ist ein Filmemacher dieses Zeitalters, er ist ein elliptischer Filmemacher. In der Schlussszene seines „La grande bellezza“ fährt er auf dem Tiber unter Brücken hindurch. Elliptisch bewegen sich dabei-wie schon den ganzen Film-das Boot und die Montage vorwärts. Es ist ein ruhiges und doch sprunghaftes Auslassen von Informationen, fast unnötig erscheint es, aber entspricht es doch so sehr unserer Wahrnehmung. Einer Wahrnehmung, die nie ohne Abbrüche funktionieren kann und die meist die atemberaubenden Momente in Erinnerung hält. Ingmar Bergman, dessen „Sommaren med Monika“ eine ganz ähnliche Bootsfahrt enthält, bewegt sich ebenfalls mit Ellipsen durch seine Geschichte einer verlorenen Jugend. Ein Schwall von bedauerlicher Nostalgie weht durch diese Art zu erzählen, die sicherlich Pate stand für Sorrentinos schönen Todesgesang auf Rom. Bergman beginnt seinen Film mit Aufnahmen des Hafens. Immer wieder blendet er von einem Bild auf das nächste ohne dabei wirklich Informationen auszusparen, ein Gefühl für Vergangenheit und Instabilität entsteht ohne, dass eine Person seinen Film betreten hat. In einem Kinojahr, indem die Ellipse wieder Kontur bekommen hat im Erzählkino, erscheint es erstaunlich mit welcher Konsequenz Bergman schon 1953 diesen Ansatz mit Bezug auf Jugend gewählt hat. Schließlich hatten Filmemacher wie Harmony Korine oder Nicolas Winding Refn ganz ähnliche Ansätze dieses Jahr, die häufiger mit Robert Bresson als mit Ingmar Bergman verglichen wurden, aber ihren Ansatz doch sicherlich jenem von Bergman in „Sommaren med Monika“ entsprechen. 



Durch die Verwendung der schnellen Blenden und der elliptischen, oft kaum merkbaren Sprünge durch die Zeit entsteht ein traumartiges Gebilde, das jeden Moment zu platzen droht. Ein Gefühl für eine Fantasiewelt entsteht, in die sich die beiden Protagonisten flüchten ehe sie mit aller Härte in die Realität zurückgeworfen werden. Nur Monika-und damit entspricht sie in vielerlei Hinsicht einer Protagonistin des heutigen Kinos- kann sich nicht trennen von ihrer Jugend, von ihrer Parallelwelt. Immer wieder sucht sie dabei auch den Spiegel. Bis der Spiegel zur Kamera selbst wird und Ingmar Bergman beweist, dass man auch elliptisch erzählen kann, wenn man alles zeigt. Zur berühmten Einstellung, in der Monika in die Kamera blickt, sagte Jean-Luc Godard einst: “One must see Summer With Monika, if only for the extraordinary moment when Harriet Andersson, before making love with the man she has already thrown out once before, stares fixedly into the camera, her laughing eyes clouded with confusion, and calls on us to witness her disgust at involuntarily choosing hell instead of heaven. It is the saddest shot in the history of the cinema." In ihrem Blick sehen wir gleichzeitig alles und nichts. Es ist als würde der Blick des Regisseurs in die Vergangenheit verschmelzen mit Monikas Blick. Was am Rande des Bildes stattfindet, wird unwichtig, obwohl es narrativ essentiell scheint. Später folgt Bergman diesem Weg weiter. Als der Protagonist nach Hause kommt und Monika mit einem anderen Mann erwischt, verweigert der Regisseur den Gegenschuss. Wir sehen nur die Reaktion und müssen uns den Off-Screen denken, können ihn uns vorstellen. Was wir nicht sehen bewegt uns mehr, als das was wir sehen. Der Schmerz kriecht auf dem Gesicht des Mannes. Was wir nicht sehen, hat Auswirkungen auf das, was wir sehen. Das Kino bringt uns diesen Gedanken näher. 


Mit größter Konsequenz hat auch Michelangelo Antonioni diesen Ansatz in seinen Filmen ab „L’aventura“ verfolgt. Was wir nicht sehen konstituiert sein Kino und häufig geschieht das auf einer räumlichen Ebene. Fluchtpunkte werden versperrt, Szenen spielen sich hinter dem Rücken der Kamera ab und wer den Film einfach nur betrachtet, wird sich nicht einfinden können in der Welt. Wahrnehmung ist eben mehr als Sehen. Das gilt auch und im Besonderen für das Kino. Und damit gewinnt man wieder die Lust am Sehen. 


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