Samstag, 25. Januar 2014

Her von Spike Jonze: Am Anfang war die Einsamkeit

Text: Rainer Kienböck



Im Falle von „Her“ kommt die „Misery“ vor der „Music“. Denn wir sehen Theodore (Joaquin Phoenix) zuerst allein, gedankenverloren, traurig in seinem Büro sitzen, bevor er im Aufzug sein Computer-Smartphone-Device-Dings (dazu gleich mehr) anweist einen melancholischen Song zu spielen. „When You Know You’re Gonna Die“ von Arcade Fire ertönt, Theodore entscheidet sich dann doch für Will Collins‘ „Alien Child“.


Der Film spielt in einer nahen Zukunft, in der, und so abwegig ist das gar nicht, personalisierte Betriebssysteme („operating systems“, kurz OS) als persönliche Assistenten fungieren. Sie empfehlen Lieder und Restaurants, verwalten E-Mails und Termine und geben auch sonst hilfreiche Tipps. Gesteuert werden sie mittels Sprachsteuerung und kommunizieren über Sprachausgabe mittels eines kleinen Ohrhörers. Das OS ist plattformübergreifend (Arbeits-PC, Home-Entertainment, und ein Smartphone-artiges Gerät sind alle miteinander verknüpft) und allgegenwärtig im Leben von Theodore, und vermutlich dem Rest der Welt. Annahmen über die Lebensumstände anderer Menschen in der Welt von „Her“ zu machen, ist jedoch schwierig. So allgegenwärtig wie das OS in Theodores Leben ist, so allgegenwärtig ist Theodore im Film. Kaum eine Einstellung kommt ohne ihn aus, selbst „establishing shots“ arrangiert Regisseur Spike Jonze oft so, dass Theodore im Bild ist.


Theodores Lebenswelt bietet aber faszinierende und daher lohnende Einblicke in eine nicht-so-ferne Zukunft. Medieninstallationen sind allgegenwärtig, die Architektur ist farbiger wenn auch klinischer geworden und elektronische Helfer dominieren den Alltag noch stärker als heute. Oberflächlich betrachtet, mag „Her“ wie Kritik an der fortschreitenden Technologisierung des Privaten wirken: Statt das echte Leben zu leben, stürzt man sich in eine virtuelle Parallelwelt. Ich würde nicht sagen, dass es so einfach ist. Vielmehr haben wir es hier mit einer Charakterstudie zu tun, die fantasievoll und teils mit Science-Fiction-Elementen, ähnliches thematisiert wie wir es aus der Filmgeschichte bereits kennen. Einsamkeit, Trennungsschmerz und unorthodoxe sexuelle Vorlieben sind nichts Neues, die technischen Neuerungen der letzten Jahre haben Jonze aber zu etwas inspiriert, das so noch nicht da war.


Theodore ist von seiner Frau verlassen worden, und als wir ihn treffen, noch nicht annähernd über diese Trennung hinweg. Um sich abzulenken besorgt er sich die aktuellste OS-Version. Diese hat eine natürliche menschliche Stimme, so etwas wie eine Persönlichkeit und ist lernfähig. Wieder einmal ein Film, in dem der Traum von A.I. in Erfüllung gegangen ist.Theodores OS spricht mit der sexy, leicht kratzigen Stimme von Scarlett Johansson und tauft sich selbst Samantha.Mit Charme, Wortwitz und einem großen Verständnis für Theodores Probleme erobert Samantha sein Herz und die beiden befinden sich schon bald in einer Beziehung. Der echte Mensch und die körperlose, künstliche Entität.Wie so oft in derlei Anordnungen entpuppt sich das künstliche Wesen schon bald als menschlicher und emotionaler als der Mensch – das ist die tragische Seite von „Her“.
 

Der Film hat aber eine absurde, komische Seite. Ich würde in diesem Fall nicht von einer Komödie sprechen, aber Theodores bizarre Beziehung zu seinem OS führt zu ein paar netten One-Linern („…and now he’s madly in love with his laptop!“) und zu sehr skurrilen Situationen (mein Favorit: das Double Date-Picknick). In diesen Momenten meint man sich in einem Drehbuch von Charlie Kaufman. Die letzte Zusammenarbeit der beiden ist zwar bereits über zehn Jahre her, Jonze kann dessen Einfluss aber nicht abstreiten.Ein Kaufman-Film ist es aber dann doch nicht. Dafür fehlen die großen Ideen und eine Prise Wortwitz. Wie bereits erwähnt ist „Her“ zwar ein erfrischend neuer Versuch eines Liebesdramas über einen leicht nerdigen Einzelgänger, aber Jonze erfindet das Rad nicht neu.  
 

Dafür kann man den Film auf der visuellen Ebene zu den Großen zählen. Wer Liebesfilmen keine großen Bilderwelten zutraut, wird hier eines Besseren belehrt. Der Stil des Films ist vom Hochhaus bis zum Lampenschirm stimmig. Die nicht-näher spezifizierte Zukunft sieht aus wie die neue Wirtschaftsuniversität in Wien. Wem das nicht gefällt, muss wenigstens zugeben, dass es etwas ungezwungen Futuristisches an sich hat. Man kann nur hoffen dass DP Hoyte van Hoytema dieses Niveau auch in Christopher Nolans nächstem Film „Interstellar“ hält, wenngleich er es dort wohl mit einer weniger farbenfrohen Umgebung zu tun haben wird (v.a. wird der Hauptcharakter nicht andauernd rote Hemden tragen). Hinzuzufügen ist vielleicht noch, dass in Jonzes Zukunftsvision der ehemals alternative Hipster-Style den Mainstream endgültig erobert hat, weshalb die Mehrzahl der Menschen im Film wie Idioten angezogen ist – da wünscht man sich fast körperlos zu sein.

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