Dienstag, 11. Februar 2014

Der Geist im Kinosaal



Im lichtgefluteten, lauten Kinofoyer betrachten sich Menschen in den zahlreichen geputzten Spiegeln. Sie müssen gut aussehen bevor sie in der Dunkelheit des Saals verschwinden. 

Apichatpong Weerasethakul hat die Menschen im Kino, also die Zuseher als Geister bezeichnet. Bewegungslose Körper, die andere Geister, nämlich die Bilder der Vergangenheit betrachten. Inwiefern wird der Zuseher auch völlig körperlos? Vor ungefähr einem Jahr habe ich vom perversen Körper des Filmzusehers geschrieben (Der perverse Körper unterbricht Filme) und heute versuche ich mich an ihn zu erinnern.


Der Geist im Kino ist ein lesender Geist. Selten, zu selten wird diese Starre zu einem Eintauchen, denn bevor man eintaucht, möchte man erst das Wasser kennen. Traurige Geister haben sich ins Kino verlaufen. Der kindliche Trieb eines unschuldigen Betrachtens wird von Kultur in den Geistern gestört und verhindert. Sei nicht so kritisch, du bist selbst ein Geist. Ich habe verschiedene Sitztechniken entwickelt, meine Größe scheint nicht immer geeignet für Kinos. Es gibt die beide Beine auf dem Boden Haltung, es gibt die linkes Bein überschlägt das rechte Bein und es gibt die rechtes Bein überschlägt das linke Bein Haltung. Wenn mich ein Film ganz kalt lässt, lege ich meinen Arm gerne auf den Nebensitz (wenn dort niemand sitzt) und wenn ich ihn ganz besonders mag dann lehne ich mich oft nach vorne, im Eindruck dann mehr und umfassender zu sehen. Bin ich länger als 60 Minuten im Kino (die Regel) nehme ich auch abwechselnd linkes und rechtes Bein zu mir auf den Stuhl. Oft halte ich meine Mütze den ganzen Film fest. Ich bewege mich, bin kein Geist. Ich halte mich für einen miserablen Kinogänger.

Oft stellt sich mir die Frage, ob das Kino der Ort von erhöhtem Respekt ähnlich eines Theaters sein sollte oder ein respektloser Ort, an dem alles erlaubt ist von Wortgefechten bis hin zur Rebellion im Zuschauerraum. Wenn es Geister sind, ist es ein heiliger Ort. Es sind Geister, weil es die Vergangenheit ist, die wir immerzu sehen. Tote Bilder, die eigene Jugend, gespeichert auf diversen Materialien und vor uns lebendig auf der Leinwand. Der Star auf der unsterblichen Leinwand scheint heute nicht mehr so interessant wie das eigene Leben, Orte und Landschaften, die man kennt. Gemurmel und Geflüster, wann immer etwas zu sehen ist, das man kennt. Die Geister erwachen zum Leben, sie wollen nicht eintauchen, wollen nicht im Film sterben, sie lesen ihn und dann zerreden sie ihn.


Doch bricht die Illusion zusammen passiert etwas. Tonausfälle, Bildprobleme sind nicht erwünscht. Aus welcher Illusion wird der lebendige Zuseher denn herausgerissen? Es könnte die Illusion seiner eigenen Erwartung sein und dann findet Kino schon lange im Kopf und nicht vor dem Zuschauer statt. Es wäre schon lange an der Zeit die Spiegel aus den Kinofoyers zu nehmen, sie zu zerbrechen und damit die Leinwand aufzuschlitzen. Das Kino kann nicht nur auf die Figuren, die es besuchen zurückgeworfen werden, die Qualität eines Films kann nicht nur an der subjektiven Reaktion eines Zusehers und seiner Bereitschaft sich zu involvieren gemessen werden. Willkür herrscht im Land der Geister, Willkür, die zur Irrelevanz verkommt. Die zerbrochenen Spiegel müssen wieder in die Kinosäle gebracht werden, damit statt ästhetischer Leere und unästhetischer Überfüllung ein Kino gefunden wird, das die Geister daran erinnert, dass sie im Kino sind, denn im Kino sein, heißt in der Welt sein. Dieses Kino gibt es. Zum Beispiel bei Apichatpong Weerasethakul, der es vermag seine Geister körperlich zu berühren, weil das Vergangene für ihn Teil der Gegenwart ist und somit auch das Kino.


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