Donnerstag, 6. Februar 2014

Gillo Pontecorvo-(Linker) Regisseur


Text: Rainer Kienböck

Fällt der Name Gillo Pontecorvo, denkt man zuerst an „La battaglia di Algeri“. Das Österreichische Filmmuseum widmete Pontecorvo letzten Monat eine Retrospektive, die es mir ermöglichte auch seine restlichen Langfilme zu sehen. Es sind fünf an der Zahl (inklusive „Battaglia“), aber nur den „Vergessenen Vier“ ist dieser Beitrag gewidmet.


Eine Chronologie

Pontecorvo kommt aus einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Pisa in der Toskana. Er studierte kurzzeitig Chemie, schloss das Studium jedoch nie ab. An der Universität lernte er jedoch jene politischen Kräfte kennen, die sein weiteres Leben und seine Filmkarriere bestimmen sollten. Um dem wachsenden Anti-Semitismus zu entfliehen übersiedelte er 1938 nach Frankreich – in sein Heimatland sollte er erst Jahre später an der Spitze von Résistance-Truppen zurückkehren.

Nach einer kurzen journalistischen Laufbahn widmete er sich Dokumentarfilmen, von denen er ab 1953 vier Stück fertigstellte. Sein erster Spielfilm, „La grande strada azzurra“ feierte 1957 Premiere, es folgten „Kapò“ (1960), „La battaglia di Algeri“ (1966), „Queimada“ (1969) und „Operación Ogro“ (1979). Nebenher war Pontecorvo aber weiterhin als Dokumentarfilmer tätig und beteiligte sich auch an diversen Episodenfilmen.
Pontecorvos Filmschaffen ist eklektisch – sein Stil ist nicht Festzumachen, nur ein roter Faden zieht sich durch sein Oeuvre: die politische Linke. Vielseitigkeit und Politik – das ist Pontecorvo.

Der Heimatfilm


Pontecorvos Spielfilmdebüt betrachte ich mit gemischten Gefühlen. Einerseits wirkt der Film wie ein aufgeplusterter Versuch in Neo-Realismus, andererseits zeugt er bereits von der politischen Agenda die Pontecorvos restliches Schaffen bestimmen sollte. Für mich ist „La grande strada azzurra“ eine Art Heimatfilm. Alpenpanorama und Wilderer als Anti-Helden wie deutschsprachige Heimatfilme hat er zwar nicht zu bieten, dafür Dynamitfischer und die dalmatinische Küste. Man fällt leicht in Versuchung diesen Film zu belächeln, so extrem ist das Blau des Meeres, so melodramatisch überhöht ist die Handlung, so unpassend ist Yves Montands newmanesques Auftreten. Es scheint Pontecorvo orientierte sich thematisch an den neorealistischen Meistern des vorherigen Jahrzehnts, strikter Formalismus ist seine Sache nicht und so kombiniert er neorealistisches Milieu mit kreischenden Farben und gebräunten, gutaussenden Fischern. Die politische Botschaft kommt auch recht plump daher: Der einzige (illegale) Dynamitfischer des Dorfes riskiert Kopf und Kragen um der Küstenpolizei zu entkommen, während die restlichen Fischer sich zu einer Kooperative zusammenschließen und sich eine Kühltruhe beschaffen um nicht mehr von den Preisen des örtlichen Großhändlers abhängig zu sein. Der Anti-Held sprengt sich schließlich selbst in die Luft, während die unterdrückten Fischer in ihrer Genossenschaft einer rosigen Zukunft entgegensehen.


Nazis, Juden und Russen


Pontecorvos zweiter Film „Kapò“ hat seine Bekanntheit v.a. einem zu verdanken – Jacques Rivette. Dieser wirft Pontecorvo in seiner Streitschrift „De l’abjection“ (1961) Voyeurismus und Pornographie vor. Er bezieht sich dabei auf die Szene in der sich Emmanuelle Riva in den Elektrozaun des Arbeitslagers wirft und so Selbstmord begeht. Pontecorvo wurde in cinephilen Kreisen, jenen der ästhetischen Linken daraufhin zur Persona non grata. Mir erscheint Rivettes Kritik übertrieben wenn auch nicht haltlos. Eine Kamerazufahrt auf die tote Hand, der am Zaun hängenden Riva mag der ästhetischen Linken wie Frevel vorkommen, Fakt ist, dass sich Pontecorvo nie an restriktive formale Kriterien gehalten hat, sondern sie immer seiner politischen Erzählung untergeordnet hat.

Wie so viele Autoren, widme ich dieser obsoleten Diskussion aber bereits zu viel Raum. Über 50 Jahre sind vergangen, und seither haben nur wenige Filme es geschafft, die psychischen Folgen eines KZ-Aufenthalts so zu bebildern wie Pontecorvo es tut. Die Protagonistin Edith, eine Jüdin, kommt 14-jährig in Gefangenschaft und verrät sich und ihre Mithäftlinge um zu überleben. Ein Überlebenskampf, vor allem auf mentaler Ebene. „Kapò“ zeigt wie normale Menschen zu Bestien und Verrätern werden. Aus „La grande strada azzurra“-Tagen übernimmt Pontecorvo dabei bloß die völlig unnötige Liebesgeschichte von Edith mit einem russischen Kriegsgefangenen, die dem Film einiges an Biss raubt. Dennoch ist in den drei Jahren zwischen den beiden Filmen eine Zäsur geschehen – „Kapò“ ist grimmig, grau und zynisch.

Quasi als Antwort auf Rivettes Kritik, und nach sechs Jahren Pause, erscheint Pontecorvos magnum opus „La battaglia di Algeri“. Wie bereits erwähnt möchte ich hier nicht näher auf den Film eingehen. Doch auch hier zeigt sich wieder die unfassbare Bandbreite an Stilen die Pontecorvo zu meistern weiß. „Battaglia“ ist ein Film, im Geiste der cinéma vérité Bewegung. und wirkt über weite Strecken aus Archivaufnahmen konstruiert, Fakt ist jedoch: jede Sekunde des Films ist von Pontecorvos Crew abgefilmt.

Kolonialismus, die Zweite


Pontecorvo begnügte sich allerdings nicht mit einem anti-kolonialistischen Film. In „Queimada“ ist alles größer aber nicht zwangsläufig besser. Inspiriert vom Sklavenaufstand auf Guadeloupe erzählt „Queimada“ über zwei Phasen des Kolonialismus auf der fiktiven gleichnamigen Insel. Sir William Walker (gespielt von Marlon Brando), ein Agent provocateur der Britischen Marine soll die Herrschaft der Portugiesen auf der Insel brechen – dies gelingt indem er einen der schwarzen Sklaven zum Revolutionär „heranzüchtet“. Jahre später erhebt sich dieser erneut, diesmal um gegen die Herrschaft der Engländer und ihrer Royal Sugar Company anzukämpfen. Dieses Mal wird Walker engagiert um den nunmehrigen Guerillaführer zur Strecke zu bringen. Parallelen tun sich auf zu den amerikanischen Interventionen der Nachkriegszeit, das Heranzüchten von Warlords, die einem dann selbst gefährlich werden erinnern an die Vorkommnisse im Iran, in Afghanistan, im Irak Jahre und Jahrzehnte später. Walker erinnert in seinen weißen Anzügen entfernt an Herzogs Fitzcarraldo, aber noch mehr an Cobra Verde, einem späteren Kinski-Charakter. Wo „Cobra Verde“ die Charakterstudie eines Psychopathen ist, stellt sich „Queimada“ auf die Seite der Unterdrückten und zelebriert die Verachtung an der Pragmatik und Skrupellosigkeit des weißen Mannes. Dieser Film ist der wahrscheinlich sinnbildlichste für das Weltbild von Pontecorvo. Im krassen Gegensatz dazu steht der Aufwand mit dem der Film augenscheinlich produziert wurde und der glamouröse Hauptdarsteller (ohne ein Kaliber wie Brando hätte Pontecorvo den Film vermutlich nicht finanzieren können). Einzig die Kamera erinnert noch zum Teil an „La battaglia di Algeri“, so finden sich verwackelte hand-held Aufnahmen und veristische Einstellungen mitten in diesem doch recht konventionell anmutenden Historienepos. Das macht aber Pontecorvos Repertoire aus.



Kaboom, Baby!


Müsste ich einen Lieblingsfilm aus Pontecorvos Filmografie wählen, wäre es ohne Zweifel sein letzter Film „Operación Ogro“. Dieser handelt von der wahren Geschichte der minutiösen Vorbereitung und Durchführung eines Attentats auf den prädestinierten Nachfolger des spanischen Diktators Francisco Franco durch die baskische ETA. Der Look dieses Films ist unnachahmlich und wiederum komplett anders, als alles was Pontecorvo zuvor gemacht hat. Wir befinden uns in der Welt von „Carlos“ und tauchen ein in die europäischen linksextremen Untergrundbewegungen der 70er Jahre. Erst im Vergleich mit Filmen wie „Operación Ogro“ wird deutlich wie perfekt Olivier Assayas den Puls und Look der Zeit in seinem 70er Jahre-Thriller getroffen hat und wie furchtbar David O. Russells Welt in „American Hustle“ im Vergleich dazu aussieht, aber das nur als Bemerkung am Rande.

Penibel genau protokolliert Pontecorvo das Vorgehen er Widerstandskämpfer ohne jedoch zu intim zu werden – sprich mit den Attentätern vollkommen zu sympathisieren – letzten Endes greifen sie zu Waffengewalt um Menschen zu töten, und das möchte Pontecorvo nicht unreflektiert heroisieren. Auf einer zweiten Zeitebene, behandelt er deshalb die Nachwirkungen des Attentats auf die Beteiligten. Reue, Gewissensbisse und die ständige Gefahr der Verhaftung machen ihnen zu schaffen. Das Pontecorvo nicht davor zurückschreckt auch diese Seiten zu zeigen, rechne ich ihm hoch an.



Conclusio

In zwei Jahrzehnten hat Gillo Pontecorvo fünf abendfüllende Spielfilme realisiert. Jeder davon ist einzigartig und stilistisch eigenständig. Will man Pontecorvo als Auteur positionieren, so muss man inhaltlich vorgehen. Kompromisslos hat er über die Jahre seine linken Anliegen vorgetragen und die Situation der Unterdrückten auf der ganzen Welt präsentiert. Gegen Widerstand in der Branche, die es ihm schwermachte seine Filme zu finanzieren, und gegen die Kritik aus den eigenen (linken) Reihen (siehe Rivette), bahnte er sich seinen Weg und etablierte sich als einer der bekanntesten Regisseure Italiens. Sein Ruhm beruht zum größten Teil auf „La battaglia di Algeri“, der objektiv und formal betrachtet wohl sein ausgereiftester und mutigster Film ist, aber wer nicht über „Battaglia“ hinausgeht, und v.a. die beiden Folgewerke unbeachtet lässt, der verzichtet darauf ein ganzheitliches Bild der Linksbewegung der 70er Jahre präsentiert zu bekommen.

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