Samstag, 22. Februar 2014

Teuflische 35 Millimeter

Text: Rainer Kienböck


Am Dienstag war Peter Kubelkas zyklisches Programm im Österreichischen Filmmuseum wieder einmal bei Programmnummer 6 angekommen. Dieses Programm ist ein ganz besonderes, beinhaltet es doch Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“, dessen Vorführung in Österreich eigentlich verboten ist. Da der Film nur in einem pädagogischen Kontext gezeigt werden darf, wird vorab Jack Smiths „Flaming Creatures“ gezeigt. In Retrospektive muss ich sagen: „Flaming Creatures“ ist der vulgärere, obszönere und schockierendere Film.

Triumph des Willens

Ähnlich wie „Triumph des Willens“, musste auch „Flaming Creatures“ über die Jahrzehnte mit der Zensur kämpfen – aus ganz anderen Gründen natürlich. „Flaming Creatures“ wirkt improvisiert und billig. Die Aufnahmequalität ist furchtbar, die Kameraführung teils dilettantisch. Der Film spricht in seiner Primitivität die bestialische Seite des Zusehers an. Wie die Körper auf der Leinwand, windet sich auch der Blick des Publikums. Eine verworrene Masse an Genitalien, opulenten Kostümen und androgynen Körper wird vom Kameraauge eingefangen. Alles ist mehrdeutig und unrein.

„Triumph des Willens“ ist ästhetisch das genaue Gegenteil davon. Riefenstahl operierte mit immensem Aufwand (achtzehn Kameramänner) und klinischer Präzision. Stramme Körper marschieren in faltenfreien Uniformen unter der Nürnberger Sonne. Und dann spricht der Führer von DEUTSCHLAND und dem DEUTSCHEN VOLK. In seiner Eindeutigkeit wirkt der Film fast schon wie eine Parodie seiner selbst. Für den heutigen Zuseher mag die latente Homoerotik und die exerzierenden Spatenmänner der Organisation Todt ironisch belustigend wirken – dennoch: dieser Film ist gefährlich. Dieser Film ist nicht nur ein Film, sondern in aller erster Linie ein Symbol.

„Triumph des Willens“ ist nicht wie „Flaming Creatures“ wegen seines Inhalts provokant-problematisch. Die deutsche Herrenrasse feiert sich selbst, aber gefährliche Ideologien werden auch von anderen Filmen verbreitet. Man denke nur an die sowjetischen Regisseure der 20er und 30er Jahre, die sich weitaus expliziter gegen den (Klassen-) Feind wenden, als es Riefenstahl tut. Man denke nur an Buñuels wilde Pamphlete gegen Staat, Bourgeoisie und Kirche. Man denke nur an die Darstellung von ethnischen Minderheiten in US-Filmen (Looking at you, D.W.!). Sie alle wenden sich aggressiv gegen etwas, wohingegen „Triumph des Willens“ in erster für die Verherrlichung des Nationalsozialismus eintritt. Die Krux an der Sache ist natürlich, dass sich nicht genau trennen lässt, wo das Implizite beginnt. Kann ich Hitler sehen, ohne auch Auschwitz zu sehen?

Flaming Creatures

Gerade im deutschsprachigen Raum muss man sich dieser Frage stellen. In Kambodscha mag ein Film über die Rote Khmer mehr aufregen und schockieren. Hier, in Westeuropa, ist der Nationalsozialismus synonym für das pure Böse. So pathetisch das klingen mag – diese Auffassung kommt nicht von ungefähr. Wie der Kambodscha-Vergleich zeigt ist „Triumph des Willens“ nicht intrinsisch „böse“ (moralisch verwerflich, unethisch, gefährlich,…), aber im „richtigen“ historisch-sozio-kulturellen Rahmen ist er es. In Österreich und Deutschland ist er es.

Deshalb ist es durchaus nachvollziehbar den Zugang zu diesem Film nur bedingt freizugeben, auch wenn es mir etwas überzogen erscheint den Film tatsächlich mit Aufführungsverbot zu belegen wie das in Österreich der Fall ist – also ihn quasi zu zensurieren. Eine Demokratie aufgeklärter Bürger sollte einen solchen Film verkraften können – sollte. Die Bürger Westeuropas sind allerdings nicht aufgeklärt (genug). Ein paternalistischer Eingriff von Vater Staat ist nötig, solange noch Irre herumlaufen, die „Triumph des Willens“ als Zeugnis einer besseren Zeit verstehen und ihren Führer einmal auf der großen Leinwand bestaunen wollen. Andererseits ist es natürlich problematisch den vielen reflexionsfähigen Bürgern ein künstlerisch spannendes Werk vorzuenthalten. Denn Riefenstahl ist ohne Zweifel ein großes Talent mit der Kamera. Gerade wenn es gilt Körper in Szene zu setzen und monumental zu werden zeigt sich ihr volles Geschick. Dramaturgisch ist dieses Schaulaufen allerdings weniger gelungen, weshalb ich bezweifle, dass „Triumph des Willens“ zur Faschismus-Missionsarbeit taugt (genauso wenig wie der Anselm’sche Gottesbeweis einen Agnostiker überzeugen wird können) – da waren und sind die kommunistischen Propagandafilme weitaus überzeugender (nach Santiago Álvarez stimme ich gerne Die Internationale an).

So weit, so gut. Aber ist nun der Filmprojektor oder der Filmstreifen das Teufelszeug das von der Masse ferngehalten werden muss? Klar, eine Filmprojektion kommt nicht ohne Filmstreifen aus – aber die winzig kleinen Bildkader eines Filmstreifens sind weder repräsentativ, noch weiß der Großteil der Menschen (gerade in der heutigen Zeit) viel damit anzufangen. Nicht einmal der größte Fanatiker wird versuchen Bildkader für Bildkader, Filmrolle für Filmrolle nach Hakenkreuzen untersuchen, denen er sich dann in Andacht widmen kann. Somit sollte der Besitz einer solchen Filmrolle doch bedenkenlos möglich sein – denn im republikanischen Staat verurteilt man nicht aufgrund von Potenzen, andererseits ist auch der Besitz einer solchen Filmrolle ein Symbol. Genauso wie bei der Vorführung könnte man auch hier mit Signalwirkung argumentieren.

Triumph des Willens

Ich will hier keine Ontologie des Filmstreifens aufstellen. Es geht mir rein um die Ambiguität zwischen der Materialität des Bildstreifens und dem Schattenbild, welches es mittels Projektor zum Leben bringen kann. In der digitalen Ära wird diese Frage noch diffiziler: „besitzt“ man die Datenströme auf einer Festplatte? Juristisch ist diese Frage recht einfach zu beantworten – wer z.B. Kinderpornos auf seiner Festplatte hortet, der macht sich (zumindest nach österreichischem Recht) strafbar. Ethisch ist es weniger eindeutig – und ich zweifle, dass sie es jemals sein wird. Wie so viele philosophische Fragen geht es auch bei der Frage nach dem Verhältnis zwischen narrativem Inhalt und materieller Substanz eines Films um ein ständiges Neu-Ausverhandeln, um eine kontinuierliche Auseinandersetzung und individuelle, situationsabhängige Evaluation.

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