Sonntag, 2. Februar 2014

Visconti in February: Lo straniero



Meine letzten beiden Beiträge beschäftigten sich zum einen mit Luchino Viscontis gelungener Dostojewski Adaption „Le notti bianche“ und zum anderen mit der naiven Verwendung von POV-Einstellung als Ersatz für die erste Person in der Literatur. Wundervoll, dass Visconti eine Brücke schlägt mit seiner Camus Verfilmung „Lo straniero“. Ein Film, bei dem einen aufgrund der bloßen Namen das Wasser im Mund zusammenlaufen muss. Visconti wagt sich nach Dostojewski und vor Thomas Mann an Albert Camus; seine Neigung sich den Göttern der europäischen Literatur zu nähern, das Unverfilmbare in Bilder zu kleiden, bleibt ein wichtiger Strang in seiner Karriere. Unterstützung hat er dabei unter der allmächtigen Produktion des Dino de Laurentis von einem spektakulären Cast. Mersault wird vom ewig denkenden Marcello Mastroianni verkörpert, dem Visconti selbst in „Le notti bianche“ eine anti-felliniesque Leichtigkeit in manchen Szenen entwenden konnte und seine Freundin Marie wird von Anna Karina, Godards langjähriger Seelenmuse gespielt und wenn man nur diese Namen vor sich hat und das Buch kennt, dann scheint sich der Film von selbst zu drehen.
 

Das hatte wohl auch Visconti gedacht und einen zu großen Teilen völlig lustlosen Abklatsch hingelegt, in dem er zwar ganz nahe am Plot der Vorlage bleibt, aber nicht im Ansatz etwas von der Stimmung geschweige denn der existentialistischen Gleichgültigkeit, aus dem eigentlich so geeigneten Gesicht von Mastroianni zu holen vermag. Nach einer emotionslosen Beerdigung seiner Mutter lebt Mersault so in den Tag hinein. Er lernt Marie kennen und beginnt eine Beziehung mit ihr. Ohne Ehrgeiz und Gefühl geht er durchs Leben. Eines Tages ist er am Strand und es ist heiß wie es allgemein die ganze Zeit sehr heiß ist im Algerien der 30er Jahre. Sein Freund Raymond hat Ärger mit einigen Arabern, da er Streit mit einer arabischen Frau hatte. Es kommt zum Streit und völlig passiv erschießt Mersault einen der Araber. Er kommt vor Gericht und erlebt die Verhandlungen wie ein Zuseher. Er verneint bis zum Ende jede größere Idee jenseits einer irdischen Existenz wird zu Tode verurteilt. Gleichgültigkeit ist eine Lebensphilosophie von Mersault, aber die filmische Gleichgültigkeit von Visconti hat nichts damit zu tun. Wo ist er hin, der große Stilist, der er zuvor und auch danach noch war?


Voller Cut-Away Bilder stecken die Beschreibungen von Camus, voller Ablenkung und Leben, wogegen es bei Visconti nur die bleiche Handlung gibt. In dieser Beschränkung ist nichts verborgen, aber statt diesen Weg konsequent zu gehen und das Nichts sozusagen zum Stil zu machen, versucht er sich keinen Deut besser als Julian Pölsler in seinen aufgenommenen Monologen aus „Die Wand“, auf eine höhere Ebene zu heben, indem er die Gedanken seiner Person als Voice-Over mehr oder weniger aus dem Buch übernimmt. Diese Art Literatur zu filmen, hat wenig mit Film zu tun. Hier wird ausgerechnet von Visconti so getan als hätte es André Bazin und seine Freunde von Murnau, von Stroheim bis zu Rossellini und ja Visconti nie gegeben. Visconti glaubt in „Lo straniero“ nicht ans Bild. Es ist ein Produktionsfilm, dem jegliche Inspiration fehlt, der nicht im Ansatz an Stimmung und Gedanken einer Vorlage kommt, die er doch so penibel genau verfilmt. Dieser Film ist nur für jene geeignet, die zu faul sind zu lesen und sich nur mit dem Inhalt beschäftigen wollen und nicht damit, worum es in dem Buch wirklich geht. Anna Karina wird in Fantasien des regulären Cinephilen geworfen. Sie lacht im Kino, sie weint und sie ist nackt zu sehen. Sie spielt belanglos. Mastroianni hat es schwer in seinem 30er Jahre Schwimmanzug, der den Regisseur anscheinend mehr begeistert hat als die tatsächliche Person dahinter. Absurdität wird in „Lo straniero“ durch völlig unpassenden Humor ersetzt. 


Die Hitze-und das ist der größte Vorwurf, den man Visconti machen kann- ist nicht spürbar. So wundervoll er einige Jahre später in „Morte a Venezia“ vermag, die schwüle Luft greifbar zu machen, so sehr verkommt die Hitze zum narrativen Zweck, die nur dann auftritt, wenn sie verlangt wird. Schweiß, ein Zoom zur Sonne, wild geschwungene Fächer vor Gericht. Gleichgültigkeit und Leiden heben sich bei Visconti dort auf, wo sie bei Camus etwas Größeres entstehen lassen, nämlich eine Gleichgültigkeit, die aus dem Leiden entsteht. Bei Visconti ist die Gleichgültigkeit schon da, weil er zu viel Respekt vor dem Buch hat. Hat er in „Le notti bianche“, „Ossessione“ oder „Morte a Venezia“ die Geschichte der Protagonisten verfilmt, so verfilmt er hier einen Klassiker der Literatur. Angeblich gab es rechtliche Schwierigkeiten und Visconti konnte nicht seine ursprüngliche Vision umsetzen. Am Ende wirkt der Film wie eine merkwürdige Auftragsarbeit, in der nur in manchen Einstellungen und in der durchgehenden Schönheit der Bilder die Sprache von Visconti durchklingt. Die Ich-Erzählung der Vorlage ist nur in den Voice-Over Passagen erkennbar und sie verkehrt sich in ein Zitatespiel ohne jede Identifikation, in ein „Mastroianni liest Camus“.


Der Einfluss von Camus auf Filmemacher liegt nicht in dieser Adaption. Es sind die Schwenks bei Michelangelo Antonioni, das Interesse am Leben um die Personen herum; die emotional getöteten Figuren aus „I deserto rosso“ oder „L’eclisse“, er findet sich im Gesicht von Jack Nicholson in den Filmen von Bob Rafelson Anfang der 70er Jahre, er findet sich auch in der Gleichgültigkeit von Mastroianni bei Fellini, wenn er zum Beobachter seines eigenen absurden Lebens wird. Bei Visconti scheint leider eine andere Sonne als sonst, es ist eine akademische Abhandlung, eine Bearbeitung, die in keiner Sekunde über sich selbst hinaussieht.  

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