Montag, 24. März 2014

Diagonale-Schlussdialog: Protest gegen Protestvideos und Schlafwandeln im Kinoland



Zum Abschluss der Diagonale 2014 haben sich Rainer und ich nochmal über allerhand Dinge unterhalten, die sich unserem Kopf abgespielt haben. Unser Gespräch zeigt auch wie nahe man noch an den Eindrücken ist, einen Tag nach dem Ende des Festivals. Dennoch haben wir uns auch um einen allgemeineren Rückblick bemüht.


Im Laufe der nächsten Tage werden wir noch einige Besprechungen und Eindrücke posten. 

Patrick: Welches Bild hast du in deinem Kopf, wenn ich Diagonale 2014 sage?

Rainer: Das rote Festivalplakat. Mehr noch aber zwei Ohrwürmer, die ich aus Graz mitgebracht habe. Die "Habanera" aus Carmen, die in "MeTube: August sings Carmen 'Habanera'" vorkommt und "Die Telefonbuchpolka" von Georg Kreisler aus dem gleichnamigen Kurzfilm von Benjamin Swiczinsky (der Film ist eine Bebilderung des Liedes).

Patrick: Wenn ich die Augen schließe und ganz fest an das Festival denke, dann habe ich-und deshalb habe ich dir auch diese Frage gestellt-tatsächlich sowas wie einen diagonalen Blick nach hinten. Das mag jetzt erst mal bescheuert klingen, aber die enorme Vielfalt des Gesehenen in dieser enormen Gedrängtheit lässt mich nicht mehr gerade nach hinten schauen. Ich sehe overlapping images sozusagen, aber außerhalb meines natürlichen Blickfelds. Es fühlt sich anstrengend an, aber man blickt trotzdem. Ich muss dabei an meine Oma denken, die schon immer im Nacken etwas Probleme hat und wenn ich im Auto hinter ihr saß als Kind und etwas gezeigt habe, dann hat sie sich immer so gut es ging umgedreht, um mich wenigstens zu erahnen. So geht es mir heute mit der Diagonale.

Rainer: Ich glaub, dass hab ich gerade nicht ganz verstanden... Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass deine overlapping images ganz andere sind als meine. Unsere Programme haben sich ja kaum überschnitten. Was für dich Agnès Godard war, ist für abstrakte Avantgarde - jetzt müssen wir nur noch ausknobeln was "innovativer" war.

Patrick: Was ich damit sagen will, ist dass ich überfordert wurde. Was gut ist. Und deshalb kann ich kaum einen klaren Blick werfen, sondern eben eher einen diagonalen. Ich denke, dass das Wort „innovativ“ im Kino nichts verloren hat. Aber so heißt nun mal diese Förderanstalt für Avantgarde Kino in Österreich. Die Unterscheidung halte ich für ziemlich daneben.

Rainer: Apropos Förderanstalt: Haben wir uns eigentlich schon über dieses Protestvideo bezüglich der Petition gegen die Abschaffung der Filmförderung unterhalten? Ist ja eigentlich eine ganz nette Idee, nach dem zehnten Mal wird es aber etwas ermüdend (peinlich war es bereits beim ersten Mal). Die Filmcommunity damit so zu bombardieren erscheint mir ebenfalls nicht allzu überzeugend. Das sollten doch viel eher andere sehen.

Patrick: Das ist lustig. Ich habe es nur einmal gesehen. Finde ehrlichgesagt auch nicht, dass man es oft genug zeigen kann. Geht ja darum die Petition zu unterschreiben und daher ist jeder Filmschaffende und Filmfreund der richtige Ansprechpartner. Irgendwie erscheint es mir sehr komisch, dass alles, was du zu dieser geplanten Kürzung der Fördergelder im Film/Fernsehabkommen des ORF zu sagen hast eher gegen die Filmschaffenden gerichtet ist. Es ist eigentlich gar nicht laut genug kommuniziert worden. Man sollte für diese Dinge kämpfen. Es ist überlebenswichtig. Aber du scheinst mir sehr dazu zu neigen, deinen eigenen Komfort über solche Dinge zu stellen.

Rainer: Die Petition finde ich gut. Habe ich auch schon unterschrieben. Andererseits finde ich das Video und auch die Kritikpunkte unglücklich gewählt. 1.500 Jobs sind volkswirtschaftlich gesehen nicht wirklich eine Größe. Die Erfolgsgeschichte des österreichischen Films kann man auch in Frage stellen. Und das Video finde ich, wie gesagt, etwas peinlich. Ich habe es im Übrigen mindestens sieben Mal gesehen - das geht einem dann doch auf die Nerven.

Patrick: Jemand, der sich wie du mit Film auseinandersetzt, sollte in der Lage sein zu erkennen, warum da ein Arbeitsplatzargument genauso dazugehört wie alle anderen vorgetragenen und von Barbara Pichler bei der Eröffnung ergänzten Punkte. Daran ist weder etwas peinlich noch nervend. Finde es eher peinlich diese Frage zu stellen. Aber laut deiner eigenen verallgemeinernden Aussage, dass der österreichische Spielfilm sowieso keine Qualität hat, müsstest du doch kein Problem damit haben, wenn es dafür weniger Geld gibt (auch wenn dann Dokus auch betroffen sind.) Das mit dem Arbeitsplatzargument kannst du auch mal den zahlreichen Filmschaffenden erklären, die kein Geld für ihre Jobs bekommen, die sich Winter für Winter über Wasser halten müssen und ständig gezwungen werden an Projekten zu arbeiten, die sie nicht interessieren können. Es gibt Menschen, die verdienen tatsächlich damit ihr Geld, Rainer. Und es ist nicht peinlich dafür einzustehen, egal wie viele es sind. Gerade, weil der ORF auch an anderer Stelle von diesem Personal profitiert.

Rainer: Du drehst mir die Worte im Mund um. Erstens, hab ich bereits klargestellt, dass das Spielfilmargument scherzhaft gemeint war. Zweitens, ist mir durchaus bewusst, dass es hier um 1.500 Einzelschicksale geht, die Zahlenspielereien, es wird aber als wirtschaftliches Argument ins Feld geführt was ziemlich verblödet ist. Wenn man sich ansieht welche Summen in die Hypo gepumpt werden, können einen die 25 Millionen (die vermutlich auch getuned sind und auf der Annahme beruhen, dass keiner der 1.500 einen neuen Job ergreift) ziemlich kalt lassen. Auch den österreichischen Film als Exportschlager, gleich hinter dem Neujahrskonzert, darzustellen ist ganz einfach unrichtig. Da kann der Haneke Oscars und Palmen gewinnen so viel er will (und dann müsste man noch überlegen wie "österreichisch" seine Filme überhaupt sind), Österreich wird in der Welt in erster Linie als Land der Musik wahrgenommen - Salzburger Festspiele, Philharmoniker, Mozart, Staatsoper. Dass dem so ist, DAS ist das Versäumnis der österreichischen Kulturpolitik, nicht andersherum, dass diese "Erfolgsposition" nun verloren geht. Diese Selbstbeweihräucherung ist typisch für Österreich und da ist es einfach die Initiative als eine weitere "Suder-Aktion" von vielen hinzustellen, da sie inhaltlich so dermaßen aus der Luft gegriffen scheint. Noch dazu finde ich es irritierend, dass kreative Filmschaffende es nicht fertigbringen einen etwas besseren Spot für ihre Petition zu machen. Dieses Video lebt ja eigentlich nur von den paar bekannten Gesichtern, die dann vielleicht noch irgendetwas Witziges von sich geben (Ernie Mangold, Erwin Steinhauer).

Patrick: Du hängst dich halt an einem Argument auf und übersiehst dabei das große Ganze. Ich bin mir bewusst, dass du das wahrnimmst, aber wenn du eine öffentliche Plattform nur dafür verwendest dagegen zu schreiben, dann finde ich das ziemlich daneben. Die Qualität des Spots könnte seiner Dringlichkeit geschuldet sein und ist mir mit Verlaub völlig egal. Das ist ja kein Film, sondern ein Spendenaufruf. Dieses Video ist nicht an die Geldgeber gerichtet, sondern an die Unterzeichner. Da sind Einzelschicksale nicht verkehrt. Und am Ende des Tages geht es um Film und darum, dass es möglich ist diesen weiter als Kunst oder Industrie zu machen, zu leben und zu sehen. Du glaubst doch nicht wirklich, dass sich ein Politiker oder ORF-Mensch diesen Aufruf ansieht und dann sagt, dass er jetzt alles ändert. Das scheint mir sehr naiv. Der öffentliche Druck, die Offensive der österreichischen Filmwelt kann da was verändern und in diesem Hinblick finde ich, dass das Video ein guter Schritt ist. Wenn Film deiner Ansicht nach aufgrund der Versäumnisse irgendeiner Politik keine große Relevanz hat (ein komisches Argument, da Filme aus Ländern Relevanz haben, die überhaupt keine kulturpolitische Unterstützung genießen), dann sag mir doch mal konstruktiv wie du einen solchen Spot gestaltet hättest?

Rainer: Also ich hätte so einen Spot wahrscheinlich genauso gestaltet - aber ich bin auch total unkreativ und habe keinerlei filmische Ausbildung. Dieser Spot kann dann etwas verändern wenn er von Menschen gesehen wird - das geschieht dann, wenn er im ORF läuft, was wahrscheinlich nicht passieren wird. Es war vielleicht zu harsch von mir die Diagonale als die falsche Plattform für die Präsentation hinzustellen - es ist sozusagen das Kernpublikum für den Spot, aber woraus soll denn tatsächlicher Druck erwachsen? Film wird in Österreich nicht in gleichem Maße als Kunst angesehen wie in anderen Ländern mit stärkerer cinephiler Tradition, deshalb wird der Initiative auch die Unterstützung aus der breiten Menge der Bevölkerung fehlen - noch dazu weil es heimische Filme hierzulande unheimlich schwer haben überhaupt wahrgenommen zu werden (egal ob Kunstfilm oder Unterhaltungsfilm) - da zieht das Fernsehargument wahrscheinlich sogar besser. Ich bin glaube ich ganz einfach zu pessimistisch um an einen Erfolg dieses Vorhabens zu glauben, der so konventionell vorgeht. Da glaub ich noch eher dass der Essl seine Sammlung loswird - um 86 Millionen.

Patrick: Das mag alles stimmen, aber es scheint mir trotzdem ein nobles Unterfangen. Damit sind wir wieder bei innovativ, weil kreativ für mich ein genauso bescheuerter Begriff ist. Was fandest du denn kreativ auf der Diagonale?

Rainer: Die Programmierung der Kurzfilmprogramme. Die verschiedenen dokumentarischen Techniken in Stefan Ruzowitzkys "Das radikal Böse". Fritz Langs Einsatz von Ton in "M" - auch nach mehr als 80 Jahren. "Les Salauds" von Claire Denis. Die Ausstellung "Decoding Fear" von und über James Benning im Kunsthaus. Vieles eigentlich.

Patrick: Decoding Fear fand ich wunderbar. Und auch "Landscape Suicide", den wir uns ja am letzten Tag und praktisch schlaflos angesehen haben am Vormittag und der mich dennoch (trotz Müdigkeit) durchgehend faszinierte. Hast du etwas völlig Neues entdecken können?

Rainer: Was ist schon völlig neu? Das Festivalfeeling vielleicht.

Patrick: Damit meinte ich eher etwas völlig Neues für dich selbst. Das Festivalfeeling war ja auch für dich selbst etwas Neues. Wie kamst du damit, also mit dem vielen Schauen eigentlich zurecht? Neu gibt es nie, aber es gibt eigenwillig, mutig, mich verändernd. Und das erwarte ich schon von einem Festival, weil es ja am Puls der Zeit sein sollte. Ich bin daher irritiert, dass mich vor allem ältere Werke nachhaltig beeindruckt haben. Vielleicht sollte ich das aber auch nicht sein, schließlich glaube ich nicht, dass es sowas wie Vergangenheit im Kino gibt.

Rainer: Was kann man von der Diagonale erwarten? Das ist halt ein sehr spezielles Festival, das sich dadurch auszeichnet, aber auch einschränkt, dass es die österreichische Filmlandschaft betrachtet - der Überblick über diese Filmlandschaft war auf jeden Fall gegeben - Claire Denis ist nun mal großartiger als das meiste, was österreichische Regisseure zu bieten haben - die Frau ist eine Regisseurin von Weltrang, klar, dass ihre Filme mehr zu beeindrucken wissen. Ich habe mich deshalb absichtlich auf den österreichischen Aspekt konzentriert und die Retrospektiven und Specials eher gemieden, dafür umso mehr österreichische Produktionen angesehen. Insgesamt waren es 82 Filme - das ist schon eine ganze Menge und ich war heilfroh endlich mal wieder vernünftig zu schlafen von gestern auf heute. An und für sich aber mehr Spaß als Tortur, auch wenn es einige Mal recht schwer war wach sich wach zu halten - gerade bei Filmen, deren Qualitäten darin bestehen einen tranceartigen Flow zu erzielen, wie "Those who go Those who stay" oder "Calle López". Was ich mich frage ist aber, wie es für dich als Nicht-Österreicher ist, solch ein Festival zu besuchen. Hast du ein überproportionales Nahverhältnis zum österreichischen Film oder erwartest du dir durch die konzentrierte Konfrontation mit der Filmkultur eines Landes neue Perspektiven?

Patrick: Ich denke nicht an Nationalitäten, wenn ich ins Kino gehe. Das Programm war in diesem Zusammenhang ja auch mit genug Weltreisenden bestückt. Eben jene beiden Filme, von denen du gesprochen hast, also „Calle López“ und „Those who go Those who stay“ haben für mich sicher keine Nationalität. Ich hoffe, dass man Filme auch ohne diese Kulturbezüge direkt auf sich wirken lassen kann und erst in einem zweiten Schritt dann darüber nachdenkt. Wenn ich das tue, bemerke ich keine Fremdheitsbarrieren, da zum einen die österreichische Kinolandschaft viele nicht immer gute Parallelen zur deutschen aufweist, es oft genug deutsche Co-Produktionen und deutsche Mitwirkende gab und ich natürlich schon eine Zeit hier lebe. Es geht mir nie darum ein Kinoland kennenzulernen oder einzuordnen, sondern immer um einzelne Filme und das was sie auslösen, wie sie das auslösen. Wer mich kennt, weiß, dass ich immer gerne und viel über Film diskutiere und streite, aber auf Festivals bekomme ich dann auch oft eine Müdigkeit, weil ich das Gefühl habe, dass Filme von diesen ganzen Meinungen und Diskussionen, Einordnungen und Preisen überfahren werden. Zumindest das was mit und in mir durch den Film passiert, kann auf einem Festival gar nicht mehr zur freien Entfaltung kommen. Das Einschlafen im Kino ist mir übrigens ein großes Rätsel. Es wird als selbstverständlich erachtet und auf Festivals ist es ein normaler Gang. Ich finde das mindestens fragwürdig. Sich dann aber dennoch über die Filme zu äußern ist ziemlich lächerlich. Am besten fand ich da meinen Sitznachbarn bei „Landscape Suicide“, der mehrmals einnickte im Film und nach dem Abspann sofort sagte: „Das war sehr spannend.“

Rainer: Bin nicht ich neben dir gesessen in "Landscape Suicide"?

Patrick: Nein, du hast weiter links geschlafen.

Rainer: Ich konnte mich nämlich nicht mehr daran erinnern das gesagt zu haben. "Landscape Suicide" habe ich im Übrigen, obwohl der schlechten Umstände, NICHT verschlafen. Dazu war der Film zu vielschichtig, zu komplex, zu faszinierend.

Patrick: Ich wollte die dumme Frage stellen, welchen Film du am Besten fandest. Ich tue es hiermit.

Rainer: "Les Salauds" von Claire Denis  knapp vor "Oktober November" von Götz Spielmann. Mehr will ich darauf gar nicht mehr eingehen - auch ich bin etwas ausgelaugt in punkto Filmdiskussion. Wie beantwortest du diese dumme Frage?

Patrick: Gar nicht. "Landscape Suicide" von Jammes Benning, „L’intrus“ von Claire Denis, „Home“ von Ursula Meier, Those who go Those who stay“ von Ruth Beckermann, "Calle López" von Lisa Tillinger und Gerardo Barroso Alcalá, Les salauds von Claire Denis (war ja schon auf meiner Bestenliste letztes Jahr), „La Vie rêvée des anges“ von Erick Zonka, „Picture Perfect Pyramid“ von Johan Lurf, „Der Verlorene“ von Peter Lorre.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen