Freitag, 14. März 2014

Eine Sprache erfinden



Vor einigen Tagen verstarb der französische Regisseur Alain Resnais. Der 1922 in Vannes geborene Regisseur hat verschiedene Perioden in seinem Wirken durchlaufen und hat unter Kinoliebhabern weltweit einen großen Namen. Sein Tod kam trotz seines hohen Alters für viele überraschend, da er noch vor kurzem mit „Aimer, boire et chanter“ einen Film im Wettbewerb der Berlinale hatte. Der Titel, so meinte eine Freundin, wäre ein guter für einen letzten Film. Bei Resnais scheint es ja allgemein so, dass er sich in seinem ganzen Schaffen auf den Moment des Verschwindens von der weltlichen Oberfläche und den Moment der Ewigkeit und des Nichts vorbereitet hat. Insbesondere seine frühen Filme „Hiroshima, mon amour“, „L'Année dernière à Marienbad“ und „Muriel, ou le Temps d'un retour” verhandeln ausgiebig die Themen der Erinnerung, des Alterns und Sterbens. 
 

Resnais war besessen von der Erinnerung. Seine Gedanken und Gefühle werden sich in die Erinnerungen all jener, die seine Filme begleitet haben, all jener, die sie nachgeholt haben und all jener, die irgendwann auf sie stoßen werden, eingravieren wie die Worte in fast vergessenen Liebesbriefen. Am Donnerstagabend zeigte nun das Filmmuseum im Rahmen seiner „1964-Retrospektive“, einer selbstreflexiven und damit sicherlich resnaisesquen Geburtstagsshow jenen dritten Langfilm von Resnais, „Muriel, ou le Temps d'un retour”. Natacha Laurent, kürzlich als Madame Cinéma tituliert und selbst Präsidentin der Cinémathèque de Toulouse gibt eine kalte Einführung, es wird ja schließlich Geburtstag gefeiert. Immerhin erwähnt sie, dass dieser wichtige Filmemacher vor kurzem verstarb. Ansehen will sich den Film nach der Einführung weder Laurent, noch sonst irgendwer aus der Riege des Filmmuseums, gewissermaßen verständlich schließlich hat man Gäste, Geburtstag und Hunger oder Durst. Resnais und sein Geist haben an diesem Abend keinen Platz im Filmmuseum. Der Film wird gespielt wie jede gewöhnliche Präsentation in der Retrospektive. Das Kino ist gut gefüllt, aber nicht voll. Im Zuschauerraum gibt es keine angebrachte Stille, keinen Respekt. Das Kino als Medium der zeitlichen Verschiebung erliegt besonders im musealen Kontext einem zeitlichen Tod (in diesem Fall). Die Möglichkeit einer Bewusstmachung von Relevanz und Bedeutung, sowie von Zeitlichkeit wurde womöglich bewusst umgangen.

Einen Resnais-Film so kurz nach seinem Tod zu sehen, könnte ein Stück Ewigkeit bedeuten, ein bewusstes Wahrnehmen von Ewigkeit „Er war ja auch alt“, hat mir ein anderer Freund gesagt. Resnais selbst hätte ein schlichtes Weiterleben im Kino sicherlich gereicht und gefreut. Aber er hätte anders darüber nachgedacht, weil Resnais-und auch das ist unter Cinephilen weit bekannt-das Kino mit einer anderen Wahrnehmung der Zeit neu-erfunden hat. Resnais hat eine moderne, von Gilles Deleuze kanonisierte Art des Zusammenspiels von Montage, Mise-en-scène und Musik gefunden, die Zeit und Raum scheinbar mühelos durchbricht und verbindet, vor den Augen des Zusehers auflöst und so Erinnerung und Ewigkeit in zum Teil starre Bilder haucht, ein Kino der Zeit-Bilder, aber zugleich auch eines der Träume und des Vergessens, der politischen Aufmerksamkeit und des Existentialismus, des Theaters (vor allem später) und des klassischen Spiels. 


Verspielt ist Resnais auch in „Muriel“, er schneidet im Stil eines Nicolas Roeg in einer Endlosschleife, in der Vergangenheit und Gegenwart untrennbar werden, sowie Jugend und Alter, Krieg und Frieden, Liebe und Lüge. Alain Resnais hat eine eigene Sprache erfunden, er hat eine neue, für das Kino essentielle Sprache erfunden. Aber was bedeutet das?

Verschiedenen Regisseuren haftet die Ehre an, eine neue Sprache gefunden zu haben. Zu ihnen zählen wohl sicher D.W. Griffith, Sergei Eisenstein, Jean Renoir, Orson Welles, Akira Kurosawa, Ingmar Bergman, Alain Resnais, Robert Bresson, Michelangelo Antonioni, Jean-Luc Godard, Andrej Tarkowski, Abbas Kiarostami und jüngeren Datums wohl Apichatpong Weerasethakul und Pedro Costa. Geht man diese Liste durch, so stellt man erst mal fest, dass eine neue Sprache nicht unbedingt mit Publikumserfolg verbunden ist. „L’avventura“ von Antonioni, ein Film der in Cannes seiner Zeit ausgebuht wurde und im Anschluss den Jurypreis gewann, Orson Welles, der fast nie in der Lage war das Box Office so auszufüllen wie den Screen und die amerikanischen Geschichtsbücher. Von daher ist es sehr schwer vorauszusagen welcher Filmemacher an Bedeutung gewinnen und welcher an Bedeutung verlieren wird. Man darf auch nicht vergessen, dass sich gerade in den Zeiten absoluter Filmkritik (überall und jeder) und fast absoluter Verfügbarkeit der wichtige Kritiker und Kurator und Wissenschaftler immer mehr vom Kanon entfernt und lieber über seltenes, ungesehenes und überraschendes schreibt, weil sich genau darin seine Expertise noch entfalten kann. Damit einher geht aber auch immer ein ständiges Neuschreiben der Filmgeschichte, weil diese sowieso eine Frage des Betrachters ist. Auch die Frage nach dem Erfinden einer Sprache, könnte eine Frage des Betrachters sein. Die von mir sehr spontan zusammengestellte Liste entspricht wohl der Denkweise einer bestimmten Schule an Filmdenken, denkt man an das praktischere Filmschaffen, dann haben wohl Filmemacher wie Alfred Hitchcock, Jean-Pierre Melville, Federico Fellini, Stanley Kubrick, Sydney Lumet, Woody Allen, Michael Haneke, Lars von Trier und Quentin Tarantino deutlich mehr an der Herausbildung einer gewissen Art von Filmsprache gearbeitet. (der ein oder andere könnte durchaus auf beiden Listen auftauchen)


Das erfinden einer neuen Filmsprache scheint mir also immer an eine gewisse Originalität geknüpft. Da muss ein Film kommen, der etwas macht, das man noch nie gesehen hat. Das sollte man eigentlich von jedem Film erwarten können, der einen künstlerischen Anspruch an sich selbst hat. Oft ist diese Neuartigkeit an eine moderne Idee von Kino gebunden, die von Kritikern, Filmemachern und Theoretikern praktisch gleichzeitig in die Welt getragen wird, die verkauft werden muss, um die ein Hype entstehen kann, sei es im großen Stil wie bei Godard oder im kleinen Stil wie bei den Strömungen im zeitgenössischen Kino. Man spricht dann auch von einem Nerv, der getroffen wird, aber andererseits gibt es ja gerade diesen nicht, denn oft ist der Nerv noch völlig überdeckt von direkter und vorschneller Ablehnung, vor der niemand geschützt ist, weil das Publikum nicht nur nach Leos Carax eine Masse von Menschen ist, die bald sterben wird. Ein Filmemacher, der wirklich eine neue Sprache erfindet, kann daher nicht auf das Publikum achten. Tarkowski war ein solches Beispiel, aber er ist dann in ein Problem getreten, das es immer gibt. Viele Kritiker haben in seiner Zeit seine Filme „Nostalghia“ und „Offret“ heftig kritisiert. Wim Wenders schrieb von einer Wiederholung der immer gleichen Methoden. Abnutzung von Neuigkeit führt dann zu einer völligen Aufhebung des Geschmacks, ein Grund übrigens auch dafür, dass Menschen, die viele Filme gesehen haben oft weitaus schwieriger Gefallen an einem neuen Werk finden, als jungfräulichere Kinobesucher, insbesondere, wenn dieses Werk häufig zitiert oder kopiert. Am Ende des Tages-und das hat bereits François Truffaut geschrieben-ist jeder ein Kritiker. Die Bewertung eines Filmes gleicht ein wenig der Aufstellung der deutschen Fußballnationalmannschaft, nur dass es leider nicht von derartiger Relevanz im öffentlichen Diskurs ist.

Ein interessanter Twist könnte dann sein, dass Film sich wie ein unendliches Labyrinth an Einflüssen und Verweisen, an Geschichte und Geschichten immer weiter verspinnt, dass es eigentlich (es gibt wenige Ausnahmen, die mir Angst machen) unmöglich ist, sich einen kompletten allumfassenden Überblick zu verschaffen. Das bringt uns wieder zur Vergangenheit und damit zu Resnais. Schöpft sich eine filmische Sprache nun aus den filmischen Mitteln, der Technik und der Methoden eines Regisseurs oder ist es das, was beim Zuseher in der Erinnerung an die Filme passiert, ist es das Haltbarkeitsdatum eines Films in unserer Erinnerung, das am Ende irgendwie bedeutend von unbedeutend trennt? Sind es Preise? (nein) Sin es irgendwelche enthusiastischen Texte von wichtigen Theoretikern? Ist es der Einfluss, den ein Filmemacher auf kommende Filmemacher ausübt oder ist es von allem ein wenig?


Schnell könnte man sich dann auf die Subjektivität eines solchen Unterfangens stürzen. Aber, man mag mir glauben, dass es sowas wie eine objektive Relevanz und ja, Richtigkeit gibt im Film. Es gibt eine Wahrnehmung von Film, die als filmisch gelten kann, eine, die sich im Lauf der Jahre angesammelt hat, die auf der Geschichte der Kunstform aufbaut, die ein in sich geschlossenes und jederzeit offenes Bild von Film entwickelt hat, das sich in einzelnen Fällen bis ins Unendliche unterscheiden kann, aber im Kern eine gemeinsame Sprache spricht, jene eben, die Film in erster Linie als Kunst versteht und damit die ästhetische Essenz eines filmischen Strebens vereint. Nur in diesem Streben vermag es eine neue Sprache zu geben, weil es nicht um Muster und Erfolge, um Geschmäcker und Wahrnehmungen geht, sondern einzig und alleine, um die Filme selbst, um ihre durch einen oder mehrere Autoren gelebte Position zur Welt und zum Kino, die zunächst überhaupt eine Sprache entwickeln sollte, die unverkennbar ist und dann in den ganz großen Fällen, zu denen Alain Resnais sicherlich gehört, etwas Neuartiges schafft, das eine Wichtigkeit erlangt für Zuschauer, Filmemacher, Kritiker und die Geschichte.


 „Souvenir, souvenir, que me veux-tu ?“, heißt es in einer Zeile bei Paul Verlaine und genau diese Frage stellen auch viele Filme von Alain Resnais. Er zeigt die Erinnerung aus allen Perspektiven, die erdenklich sind. Er zeigt sie im Verblassen und in ihrer Unfähigkeit zu sterben, er zeigt sie von innen, indem er Bilder als Erinnerungen verwendet und sie mit der Gegenwart gleichsetzt, er zeigt sie von außen, indem er ganz im Stil von Proust seine Figuren in ein Verhältnis zu ihrer Erinnerung setzt. Er löst sie dialogisch und mit Montage auf, wie beispielsweise in „Muriel“ oder er versetzt den Zuseher in ein Gefühl der Erinnerung, der Erinnerungslosigkeit. Resnais, das sind Fragen an die Zeit. Sein „Je t’aime, je t’aime“ ist konsequenterweise eine Zeitreise ohne Chronologie. Resnais ist ein Künstler, der einem bewusst macht, dass man die Vergangenheit jederzeit mit sich trägt, dass man womöglich in ihr leben kann, er vermag mit seinen Gedanken, das Kino völlig zu durchdringen, weil er es dort trifft, wo es am empfindlichsten ist, in der Zeit.

Interessant, wie subjektiv Zeit ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen