Samstag, 15. März 2014

Kärlek 65 von Bo Widerberg



Woody Allen war es, der in seiner vierten Regiearbeit, „Everything You Always Wanted to Know About Sex* (*But Were Afraid to Ask)“ die ihm zum endgültigen Durchbruch verhalf, eine Episode in Form einer Persiflage über das zeitgenössische italienische Kunstkino einbaute. „Why Do Some Women Have Trouble Reaching an Orgasm?“ hieß die Vignette, in der es um exakt jenes titelgebende Thema ging und in existentialistischen Schüben einer Breitbildästhetik mit architektonischem Framing und rauchend denkenden Männern ihre Verwirklichung fand. Diese Minuten zeigen einen großen Ironiker an der Schwelle zu dem, was man heute gemeinhin als seinen Zenit betrachtet, die 70er Jahre. Bo Widerberg dagegen drehte seinen „Kärlek 65“ (zu deutsch: „Roulette der Liebe“, ein Traum…) in der Hochzeit jenes Kino der italienischen Existentialisten. Drei Jahre kam „L’eclisse“ von Michelangelo Antonioni in die Kinos, gar nur ein Jahr zuvor sein erster Ausflug in eine farbige Extravaganz „Il deserto rosso“. Auch Fellini hatte zwei Jahre zuvor mit „8 ½“ einen mehr als deutlichen Fingerzeig in die Richtung von Widerbergs selbstreflexiver Kinomanie gegeben. 


Allgemein ist es kein Geheimnis das jene Zeit von einer großen Bewusstwerdung des Kinos als eine Meta-Figur in Filmen geprägt ist. Jean-Luc Godard und die Nouvelle Vague allgemein diskutieren in ihren Filmen die Bedeutung des Kinos an sich, ein Zitat über das Kino kann plötzlich ein Zitat im Kino werden. Film wird als Filmkritik verwendet und in Verbindung zu einer opulenten Ästhetik, die den meisten existentialistischeren Vertretern gemein ist, entsteht so fast ein eigenes Genre. Zu jenem ist auch Widerbergs „Kärlek 85“ zu zählen, der sich aber gleichermaßen von Strömungen wie dem Direct Cinema beeinflussen ließ. Außerdem schwebt in Schweden natürlich das Schaffen von Ingmar Bergman über allem, vor allem zu jener Zeit als dieser gerade seine dummerweise so genannte „Glaubenstrilogie“ fertigstellte und damit zusammen mit Carl Theodor Dreyer sakrales Filmemachen spürbar werden ließ. Widerberg dagegen hatte gerade seinen Durchbruch gefeiert als er mit „Kvarteret Korpen“ unter anderem in Cannes einen Preis gewann. Sein Filmschaffen zeichnet sich vor allem in der Anfangsphase durch eine bedingungslose Offenlegung seiner Persönlichkeit aus, die ihn im Zeitalter des Autorenfilms zu einem gefragten Mann machten. Seine Ästhetik entspricht eigentlich der von Woody Allen. Er holt sich mehr als nur einmal Inspirationen bei Fellini oder Antonioni und versucht gewissermaßen die existentialistische Krise, der sich der Regisseur in Fellinis Magnus Opum „8 ½“ stellt, auf sich selbst und auf Schweden anzuwenden. Das eigentlich erstaunliche ist, dass es ihm gelingt neben dem Einfangen eines speziellen Kinomoments in der Geschichte auch tatsächlich so etwas wie eine tiefergehende Entwicklung in seinem Film anzuzeigen. „8 ½“ wird hier zwar kopiert, aber scheinbar nur deshalb, weil Widerberg sich tatsächlich in der Figur des Guido wiedererkannt hat. Er verortet den surrealen Erzählfluss von Fellini in einer subjektiven Leere, die aus den verschiedenen Frauen im Leben des Regisseurs (ganz wie bei Fellini, obwohl es nicht so viele sind) eine Zärtlichkeit und Verletzlichkeit herauskristallisiert, die einmal in minutenlangen Momenten unmittelbar vor dem Sex mit der Frau eines Freundes zum Vorschein tritt oder in einer betrunkenen Nacht auf einer Bank. 


Ganz wie „Le feu follet“ von Louis Malle, ein weiterer von Existentialismus durchtränkter Film, verzichtet Widerberg einige Male auf Subtilität und setzt traurige Musikpassagen und sehr deutliche Metaphern ein, um seinen Punkt zu machen. Dies mag man ihm aber genau wie Malle verzeihen, da sein Film dadurch von einer Stimmung beseelt wird, derer man sich nicht entziehen kann. An dieser Stelle sind wohl zwei Fragen angebracht. 1. Ist dieser Existentialismus, den man heute als etwas sehr kinonahes wahrnimmt nicht einfach nur eine Modeerscheinung jener Zeit? 2. Ist dieser Existentialismus nur deshalb so effektiv für mich, weil ich mich womöglich im entsprechenden Alter befinde und deshalb auch leicht über die offensichtlichen Schwächen des Films hinweg schauen kann? Tatsache ist, dass Widerberg mit seinen formellen Schwankungen zwischen ausladender Bildsprache, entfremdender Kühle und Direct Cinema Rotzigkeit immer wieder etwas zu selbstbewusst auftritt. Das Drachensteigen dagegen, ist trotz seiner metaphorischen Plattheit, ein cineastischer Genuss und Widerberg fängt diese Tätigkeit, der er schon gemeinsam mit Jan Troell in seinem „Pojken och draken“ nachspürte in einer wunderbaren Elegie ein, die einen zurückwirft in die romantische Einsamkeit des Kinos. Und ein Film über das Kino, das ist „Kärlek 65“ mit Sicherheit. Immer wieder blickt der Regisseur, der von Keve Hjelm gespielt wird und wie eine intelligentere Version von Nicolas Winding Refn wirkt, durch den Objektivsucher. Er legt ihn ab, um mit einer Frau zu schlafen. Der Film spricht mehrfach über Filme und Filmemacher, besonders bemerkenswert in einer sexuell angeregten Sequenz zwischen der Frau des Regisseurs und dem Schauspieler Benito, der von Ben Carruthers gespielt wird und mit dem sie sich über seine Rolle in „Shadows“ von John Cassavetes unterhält. Hier wird die filmische Realität dann zur Filmrealität und damit zur Realität der Figuren. Vielleicht mag dieser Film mehr als ein Zeugnis seiner Zeit dienen, für mich aber, spricht diese Energie, diese Zeit aus einer tiefen Seele und Unruhe, die mich beschäftigt, inspiriert und verletzt. Wer das Kino todernst nehmen kann, der könnte sich im Film finden. Es ist vielleicht eine Nostalgie auf eine Zeit, die ich nie erlebt habe. Für alle anderen gibt es Frauen, die nur an sehr speziellen Orten zum Orgasmus kommen.


 

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