Sonntag, 20. April 2014

Gier im Film



Es glänzt und die Pupillen weiten sich. Man will es haben. Es steht einem zu. Man fühlt sich betrogen. Gier ist eine Eigenschaft, die in Filmen als Schwäche, als moralischer Aufhänger, als Antrieb, als Grausamkeit oder als Lust gezeigt wird. Sie endet oft in die Wüste, so wie im brennenden Todeskampf in Death Valley in Erich von Stroheims „Greed“ oder in Sergio Leones Dreikampf am Wüstenfriedhof in „The Good, the Bad and the Ugly“. Bei Leone schreit immer Gier aus den verdursteten Augen seiner Darsteller von Henry Fonda bis Lee Van Cleef. Später wird er sich mit De Niro in Bedauern verkehren. Doch dieses Bedauern verkehrt sich bei McTeague in von Stroheims manischer Landschaft wieder in Gier, sie stirbt nicht einfach mit der Niederlage, sie entsteht erst in ihr, ein Monster in uns, unkontrollierbar. 
 

Das bringt sie auch so nahe an das sexuelle Verlangen. In einem anderen Film mit Beteiligung von Erich von Stroheim, Billy Wilders „Sunset Boulevard“ ist es die Gier nach Ruhm, die lange aus ihrer Zeit gefallen ist. Gier ist nicht an Zeit gebunden. Nicht wie Körper, nicht wie die Filmwelt, nicht wie Film. Gier ist hoffnungslose Hoffnung. Sie wird nicht befriedigt oder gestillt, sie ist einfach. Es ist der Männerschweiß eigenwilliger Einzelgänger, die ihr Glück suchen, manchmal auch ganz zufällig finden, wie in „No Country for Old Men“ von den Coen-Brüdern oder „Kakushi-toride no san-akunin“ (dt: „Die verborgene Festung“) von Akira Kurosawa, indem die beiden unbeholfenen Protagonisten in einem Ast Gold entdecken. Sofort werden Begehrlichkeiten geweckt. Wer hat es zuerst gefunden? Wem gehört es? Dabei wird kaum unterschieden zwischen Geld, Besitz und Frauen oder Männern. Sie reagieren auf jeden neuen möglichen Besitz wie kleine Kinder. Immer auf den eigenen Vorteil aus.

Andere betreiben Gier als Geschäft, denn zum Beispiel an der „Wall Street“ ist nicht erst seit Oliver Stone Gier gut, sondern auch die „more, more, more“ Party in Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“ greift in dieses materielle Meer aus Statussymbolen und äußerlichem Besitz, der vor allem deshalb so filmisch ist, weil er aus den Körpern und ihrer Sprache, aus der Oberfläche und ihrer Schönheit und aus der Subjektivität und unseren Träumen gespeist wird. Es geht immer weiter und weiter und weiter. Von Stockwerk zu Stockwerk krachen die elitären Fresssäcke in Denis Villenueves Kurzfilm „Next Floor“ nach unten, in einem buñuelesquen Setting wird es irgendwann keinen Halt mehr geben. Gier ist ein Rausch. Es gibt keine moralischen Grenzen für Daniel Plainview in „There Will Be Blood“ von Paul Thomas Anderson, er dirigiert seinen Ölturm vorbei an seinen familiären Verpflichtungen, vorbei am Volk, vorbei an den kirchlichen Lehren seiner Umgebung. Auch er bewegt sich im Staub, im Schlamm, wird von innen zerfressen. Man geht weit für seine Gier. Tarantino hat über „There Will Be Blood“ gesagt, dass er diesem Mann sofort geglaubt hätte, dass er mit gebrochenem Bein durch die Wüste robben würde. Gier ist Cinemascope, weil er zwischen den Augen und der Landschaft stattfindet. Je mehr Platz man für diese hat, desto leerer ist der Blick der hoffnungslosen Hoffnung. Als würde man berühren wollen, was man nie berühren kann, besitzen was man nicht besitzen kann. Jene Bilder, die die amerikanische Landschaft am besten beschreiben, beschreiben auch den Antrieb einer politischen Stoßrichtung. 


Familien zerstören sich. So wie in Sydney Lumets „Before the devil knows you’re dead“, indem Jeder gegen Jeden agiert, Juwelen und die Frau zwischen den beiden Brüdern. Gier führt zu Lügen und Verrat. Der Frieden beim Fischen am Ende von Johnnie Tos „Election“ trügt. Von hinten kommt die Gier, die man eigentlich bei Big D. stärker sah, aber Gier bedeutet auch immer Gleichgewicht und Sicherheit herzustellen. So verkehrt sich der Kampf um Besitz in einen reinen Überlebenskampf, nackt und nicht zu bändigen, Gier scheint aus den Tiefen der Figuren zu kommen, alles ordnet sich der Gier unter. In einem schwarz und weiß der Götter verkehrt Ben Wheatley in „A Field in England“ die Gier in einen LSD-Rausch.

Oft sind die Grenzen zwischen Gier und Sucht verschwommen, die Figuren sperren sich dann in ihrer eigenen Welt ein und wollen immer mehr. „Nymphomaniac“ von Lars von Trier und „Shame“ von Steve McQueen beleuchten die sexuell-suizidale Gier, eine Gier nach dem Spüren, die man lange nicht mehr spürt. Nagisa Ôshima hat in seinem „Ai no korîda“ das weibliche Begehren als tödliche Gier gezeigt, er hat das „more more more“ Prinzip der Wall Street wie McQueen und Von Trier auf die Not der Erregung übertragen. Ähnliches kann man von „La grande abbuffata“ von Marco Ferreri sagen, der Materialismus, Sex und Langeweile in einen absurden Todesmarsch vereinigt.  Gier ist immer ungesunde Lust, Freudianern geht einer ab. 


Die Müdigkeit und Erschöpfung der ausgemergelten Gesichter von Western-Anti-Helden in der Leone-Wüste ist jene der sexuellen Vereinsamung. Aber Gier kann im Gegensatz zu Abhängigkeiten auch nur für Momente aufblitzen, in einem Moment der Versuchung. Kann man ihm widerstehen? Als Zuseher will man häufig, dass der Gier gefolgt wird, man will sehen wie gestohlen wird, geraubt, wenn das mögliche Glück in beide Hände genommen wird. Gier ist Inspiration. Sie kommt mit dem Zufall angeflogen und wir zuerst als Versuchung, als Lust wahrgenommen. Wenn man King Kong sieht, will man ihn mitnehmen, filmen, im Kino zeigen. Im mysteriösen Keller in Guillermo del Toros „El laberinto del fauno“ lernt man wie so oft in Märchen, der Versuchung einer Gier zu widerstehen. Der Horror lauert hinter der Gier, einer der dich in der Wüste an eine Leiche kettet, der dich sterben lässt. Und selbst, wenn man sich entspannt am Strand aufhält, werden die Leichen angespült wie in René Clements „Plein Soleil“. Jemand anderes sein wollen, ein anderes Leben leben. Gier zielt auf etwas Äußeres. Im Film muss sie daher auf die Welt verweisen. Es ist eine Welt zwischen dem eskapistischen Wünschen des Zusehers, den materiellen Sehnsüchten der Figuren und auch der Kontrolle über Wissen und Macht, die das Kino geben und zerstören kann. Film ist beherrscht von einer Gier, die die Zeit besitzen will. Ein Paradox, wenn man bedenkt wie zeitlos Gier ist.  Auch in Abbas Kiarostamis „Close-Up“ wird dieses Verlangen nach Identitäten und Kino beleuchtet. Aber die Menschlichkeit, die sich in den Nahaufnahmen vor Gericht offenbart ist eine des Kinos, wogegen die statische juristische Objektivität, die in einer totalen Einstellung gezeigt wird keine Chance gegen Identifikation hat. Das Kino ist in der Lage Gier zu fühlen, nicht zu erklären oder rechtfertigen. In den Augen des Angeklagten, in den goldenen Lichtern in den glänzenden Augen, im Abfallen der Kontrolle, im Verlieren in einer Begehrlichkeit und im Verlieren einer Begehrlichkeit, überall herrscht die Gier des Kinos.


Gibt es immer Moral? Warum, wenn Gier so gut ist? Am Ende bleibt die Gier, mehr zu sehen. 

Bilder: „Kakushi-toride no san-akunin“ von Akira Kurosawa

2 Kommentare:

  1. Man müsste unterscheiden zwischen Gier, Begierde, Begehren, Bedürfnis, Begehrlichkeit, Verlangen, Sehnsucht und Hoffnung, denn diese Begriffe meinen nicht dasselbe Wollen. Gier ist seit jeher negativ konnotiert, Gordon Gekko zum trotz, und zwar, weil das Wort eine nimmersatte Form von Begehren bezeichnet, das sich auf etwas Bestehendes richtet (also eine Begehrlichkeit/Begierde) und darauf unter Ausschluss des Anderen Besitzansprüche erhebt – es nimmt weg, was allen zusteht und ist somit ein völlig unproduktives, negatives Begehren. Der Geldfälscher ist nicht gierig, ebensowenig der Fresssack, der seine Fressalien selber anbaut. Das Objekt der Gier ist ein quantifizierbarer Anteil vom Ganzen. Die Gier kennt ein „Mehr“ und ein „Weniger“, wenn diese Kategorien aber wegfallen, kippt sie ins Begehren, das nur noch bedingt politisch und somit moralisch anstandslos ist. Zudem ist Gier teleologisch, auch wenn das Telos, der Endzweck, nicht absehbar ist. Daher verliert der wahre Gierschlund sein Objekt schnell aus den Augen und hält nur noch an einem unbestimmten objective fest – „Etwas“ zu besitzen, „Mehr“ zu besitzen. Es kann folglich ein Kinobegehren geben, aber eine Gier? Absurde Vorstellung: Jemandem Kino „wegnehmen“. Vielleicht äußert sich die Kinogier im Überlegenheitsgestus des Alleskenners („Ich habe diesen Film, und du nicht!“) oder in der Sucht des Komplettisten.

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    1. Ja, das mit der Unterscheidung ist mir auch aufgefallen, ich habe mich dann aber dafür entschieden es mehr oder weniger zusammen zu denken, weil ich glaube, dass Gier im Film etwas anderes sein kann, als Gier als Wort mit seiner Bedeutung und Konnotation.Damit meine ich das Gefühl von Gier, das Film nachempfindbar macht, spürbar machen kann. Wie beschreibe ich dieses Gefühl ohne Worte? Da ist es sicher schwer sich auf genaue Bedeutungen zu werfen, oder? Man wird automatisch Grenzen überschreiten. Ich habe gewagt diese Definitionen als eine zu denken, weil ich den Text als eine Reise der Begehrlichkeiten begreife, zu denen Gier gehört. (der erste Entwurf handelte daher auch vom Gold) Es ist ein Text über die Nähe dieser Begriffe nicht über ihre Differenz.

      An dieser Stelle möchte ich sowieso sagen, dass Gier nicht ganz so einseitig konnotiert ist, wie du das hier zugegebenermaßen klar nachvollziehbar beschreibst. Aber wenn man gierig auf etwas ist, dann kann das auch gut sein im neudeutschen Gebrauch, ich verweise zum Beispiel auf Sportpsychologie.

      Kinogier ist ein paradox. Richtig. Aber in Dialogen unter Cinephilen existiert sie. Man ärgert sich, wenn andere etwas sehen was man nicht kennt, ich habe Menschen erlebt, die dann nicht bereit sind zuzuhören, die sich wegschließen. Wir hatten dieses Gespräch einmal geführt über krankhaftes Sehen, das immer und immer weitergeht, das alles gesehen haben muss. Das mag vielleicht keine Gier im wahrsten Sinne des etymologischen Gehalts sein, aber es ist jenes Gefühl, um das es in diesem Text geht und das ich mit Gier bezeichnet habe. Und selbst davor geschützt bin ich am wenigsten.

      Ansonsten vielen Dank für die ergänzenden Gedanken, denen ich allen zustimmen kann.

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